
Textem Jour Fixe
(regelmäßig)
Stöbern, Reden, Trinken
immer am 2. Dienstag des Monats
in Corona-Zeiten vorm Textem-Büro
Schäferstraße 26, Hamburg, ab 18 Uhr
‚Bildung‘ als das neokoloniale Terrain par excellence lässt sich auch bei denen, die heute antreten, um in (West-)Afrika Lernen anzuleiten und zu lehren, selbstreferentiell neben die anderen Ankerbegriffe der Hannoverschen Schule platzieren: Bildung als offenbar nicht voraussetzungsloses, sondern seit der kolonialen Zeit verschuldetes und derzeit vielen Transformationen wie dem Zusammenschnurren der Welt durch Digitalisierung zu einem global-dörflichen Klassenraum unterworfenes Konzept.
„Wir waren für einen Kampf, der in seiner Form schon die künftige Freiheit in sich trug, der vielfältige Lebensweisen außerhalb jeder Form der Verdinglichung ermöglichte, der Kritik und Analyse, Spiel und Lust nicht in die Zwänge des Guerrilakampfes presste.“
Die Interkulturelle Germanistik propagiere einen alten deutschen und überlegenheitsanmutenden Wein in neuen, halbwegs kritisch-theoretisch durchgespülten Schläuchen. Alioune Sow sah darin wie wa Thiong’o im Jahr 1986, und damit vor der Wiedervereinigung Deutschlands, eine Form von Neokolonialismus.
Radikaler Pluralismus und eine Verbreitung der Basis von Menschenrechten, ihre Anerkennung durch alle und ihre Verankerung in positivem Recht könnten die passenden Antworten auf Identitätspolitik sein. Dass das staatsbürgerliche „Wir“ überhaupt erst ersonnen wurde, „um sich der Verpflichtung gegenüber der Menschheit zu entledigen“, ist ein Kurzschluss Omri Boehms. Auch wenn die Hoffnung des italienischen Philosophen Norberto Bobbio aus einer Zeit, in der die Demokratien weltweit auf dem Vormarsch waren, heute sehr optimistisch klingt: dass die nationalstaatlich begrenzte Anerkennung vieler Menschenrechte nur eine Etappe sei auf dem Weg zum Wir der Menschheit.
Ich sitze in der Küche und warte darauf, dass die Welt untergeht, aber sie scheint es nicht sehr eilig zu haben. Noch leuchtet der Himmel tiefblau, aber die Gewissheit ewiger Finsternis ist für mich bloß eine Frage der Zeit, während ich die Sonnenreflexe beobachte, die über die Felder in Anthrazit und Grau auf dem Küchenfußboden hüpfen.
Anhand ausgewählter Lektüren werden Sätze und Sprünge gleichermaßen hinterleuchtet, die als „Sprung ohne Fall“ konstitutiv für lyrisch organisierte Rede herhalten sowie deren gleichzeitige „Diskriminierung“ als Brüche menschlicher Ideengeschichte/ -darstellung aufzeigen – „eine unedle Bewegung“.
Der Ort des Gebens und Gast-Nehmens ist in der okzidentalischen Denke und seiner Etymologie eine Art Haus: ein ‚Heim‘, in dem es unheimlich werden kann und wo Buch geführt wird, um es sich zuallererst leisten zu können, Gast zu geben. Es braucht einen Haushalt, oikos, in dem sich Einnahmen (linguistische wie Lehnwörter oder der nicht-sprachliche Vorsprung durch Technik) und Ausgaben (Wörter und Errungenschaften wie ‚Brennschluss‘, ‚Entwicklungshilfe‘) gut verrechnen.
Stella Maris ist ein sehr dichter Text, den langsam zu lesen lohnt. Klar wird mir dabei unter anderem, dass die sprachlichen Grenzen, an die man beim Nachdenken und Argumentieren stößt, beileibe nicht so eng gezogen werden müssen, wie unser ausschließlich auf Nützlichkeit programmiertes Denken uns weismachen will.
- Hallo! Bekomme ich jetzt den Echtheitsbeweis?
- Wenn du mir auch einen gibst! Warum bist du nur so misstrauisch?
- Warum reimt sich wohl Internet auf indiskret?
- Na ja, es heißt auch, keine Wonne ohne Wagnis.
- Wuh-hu-hu-huh! Ich muss gleich heulen!
- Wieso?
- Nur so. Endlich erreiche ich dich mal.
- Ach, so!
- Mein Gott, Annie!
- Was?
- Mir ist so langweilig.
- Und mir erst.
Gilbert Simondons Philosophieren und Denken in technischen Objekten bedeutet immer auch Aufklären, und so endet diese Geschichte über Objektontologien mit Ausführungen über technische Bildung, denn vielleicht ist genau das ein Ort, wo noch mit (technischen) Objekten philosophiert wird. Weshalb das vielleicht als friedvolles Plädoyer gesehen werden könnte, wie wir in Zukunft mit technischen Objekten denken sollten, denn mit Simondon gesprochen gibt es „in der Kultur fast keine menschliche Aktivität mehr, die nicht durch Technik vermittelt ist“.
Linguistic hospitality, das gleichzeitige Honorieren einer Sprache, die empfängt, und einer anderen, die im Handwerk des Übersetzens um Einlass bittet. Die lokale Sprache Deutsch hat in dem Sinn selten honoriert. Auch die Übersetzer:in, die Expert:in in beiden Sprachen mit ihren doppelt verpflichtenden Gastfreundlichkeiten, hangelt sich etwas praxisfremd am Ideal einer Demarkierung entlang, in der sich das Eigene und Heimische mit der fremden Sprache nicht vermischt.
- Na, du! Wo waren wir stehen geblieben?
- Lass mich mal überlegen. Ich glaube, wir haben noch gar nicht angefangen.
- Nicht?
- Nein.
Die Gastfreundschaft einer Sprache, sie wurde in Kapstadt von der Afrikanistin Anne Storch ins Spiel gebracht. Das Anliegen ist dabei ein ethisches, die theoretische Basis borgt sie sich bei Paul Ricoeur (Vom Übersetzen), der ‚sprachliche Gastfreundschaft‘ als Trauerarbeit auslegt, weil für die Übersetzer:in die komplett äquivalente, ideale Übersetzung unerreichbar bleibt, aber auch als eine Praxis, ‚bei der das Vergnügen, die Sprache des anderen zu bewohnen, vergolten wird durch das Vergnügen, bei sich, in seiner eigenen, gern aufnehmenden Bleibe, das Wort des Fremden zu empfangen‘. Außerdem rückversichert sich die Idee bei Jacques Derridas Überlegungen Von der Gastfreundschaft, ein bisschen vielleicht auch bei Mauss.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck reist nach Namibia, um Deals mit grünem Wasserstoff einzutüten. In der ehemaligen deutschen Kolonie kennt er sich besser aus, als viele denken.
Vor Ort begrüßen viele die anstehenden Deals. Die deutsche Kolonialvergangenheit, in die der Romancier Habeck sich sehr genau eingearbeitet hat, spiele laut Rainer Baake, Staatssekretär a. D. und Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Energiekooperation, keine Rolle bei dem, was sich an Abkommen anbahnt. Über die postkoloniale Gegenwart runzeln schon ein paar mehr die Stirn.
Clemens Schittkos Texte und Gedichte entziehen sich dem Beschönigungs-, Verdichtungs- und Feelgood-VerDikt.at der Literaturszene, die inzwischen auch die Lyrik zu einem unreinen Lifestyle-Produkt verkommen lassen hat. Schittko schreibt seit über zwei Jahrzehnten dagegen an mit politischer Lyrik ohne Zeigefinger und Besserwissenschafts-Mentalität.
- Hoppla! Bei meinem Laptop blinkt jetzt die Batterieanzeige.
- Dann machen wir besser Schluss für heute. Der Samstag ist sowieso gleich um.
- Etwas muss ich dir noch kurz erzählen.
- Schieß los!
- Unser Briefkasten ist weg. Ich weiß nicht, warum, aber seit gestern ist er verschwunden.
- Lustig! Briefkasten verreist. Sehr lustig!
"Wer schmiert sich zwei, drei Tuben Sekundenkleber freiwillig auf die Hand? So viel Hass kann doch ein junger Mensch gar nicht auf sich selbst haben! Nein, dahinter steckt was anderes."
„In Xanadu did Kubla Khan...“ So beginnt eines der bekanntesten Gedichte (obgleich Fragment) von Coleridge, einem der fünf englischen Romantiker, der letztlich zwar hinter dem Ruhm eines Keats, Lord Byrons etc. geblieben, jedoch seinen Platz sicherte, nicht zuletzt durch jenen unter Drogen-(Schmerzmittel) Einfluss entstandenen Text – wohl delirös gedichtet und dann erinnert-aufgeschrieben.
Vom tierischen Gebundensein an den Pflock des Augenblicks. Lena Kuglers Habilitationsschrift Die Zeit der Tiere sichtet die Hybris des zeiterfindenden anthropos.
Wie viele Ichs muss die Autorin Marie Pohl (Künstlername Marijpol) gewesen sein, um diesen großartigen Comic-Roman (Hort) schreiben und zeichnen zu können?
Ihr Vater sei gestern vom Dach gefallen, fünf Meter in die Tiefe. Das Spital habe er bereits nach einem Tag wieder verlassen. Er habe nichts, müsse arbeiten, äußerte er sich ungehalten, als man weitere Abklärungen machen wollte. Die junge Frau, die Tim im Englischunterricht davon erzählte, machte sich Sorgen über innere Verletzungen, doch sie wusste auch, mit ihrem Vater, einem Tabakpflanzer aus Sinimbu, war nicht zu reden. Werde einer vom Hund gebissen, sagte sie, und habe eine offene Wunde, gehe er nicht zum Arzt, arbeite einfach weiter. Tabakpflanzer seien so.
Worte und Wörter, Begriffe und Termini haben ihre Tiefe, für die es bislang noch keine Initiative eines Staatspräsidenten zur Dekolonialisierung, Restituierung und Überführung ins Vokabelheft des Unsäglichen gibt. ‚Sammler‘ und ‚Schenkung‘ klingen in solchen Fällen auf befremdliche Weise euphemistisch. Sie fallen auf, wenn man sich auf sie einlässt und das semantische Minenfeld entdeckt, zu dem sie gehören, mit dem, was sie denominieren.
forum ist das Gegenteil der in Fachkreisen sprichwörtlich gewordenen diskreditierten Bäckerblume. Es ist auch keine Apotheken-Umschau, die Wissenschaftskommunikation versteht als Übersetzungsauftrag zu einer Zielgruppe einzufangender Laien, die letzten Endes Kunden sind.
Das „Sagen ans Sehen“ zu verlieren, scheint programmatisch für diesen schwer zu klassifizierenden Schreibhabitus Donhausers, irgendwo gefangen. Wie Gras ist dicht & letztlich dicht am Hermetischen, das sich selbst keinen Durchbruch gestattet.
Zaire gibt es nicht in der Einzahl, auch im Rückblick nicht. Das nachzulesen, macht nachdenklich. Seine vergangene Vielzahl bändigt kein Autorengott, aber möglicherweise eine Göttin. Man/frau müsste dafür das Erzählen durchstreichen und unter diesem Strich neu anlegen. Zaire 1970 ff. war nicht nur Klebstoff für die Abgehängten oder Happenstance-Multiversum für alle in ihm, sondern auch eine Challenge für sein Erzählen. Es steckt was in Tanz der Teufel, das genau das wittert, es aufpickt und damit experimentiert.
Julia Webers Abschnittsminiaturen, jede einzelne, sind ein Muster für sinnliche Sprachökonomie und -verwendung. Mitunter stärker einer Bröckchenwiederholung verhaftet, schlägt Webers Textproduktion doch von Anfang bis Ende in Bann, besonders dann, wenn Die Vermengung in Literaturweite aufbricht, neue Wege in der Sprache sucht, sich der Inhalt als Getragenes direkt heraus ergibt, ohne mühsam dialogisiert oder zusammengeschnitten zu werden, ist sie nichts weniger als grandios.
Wir leben in harten Zeiten. Und es wundert mich, warum Pazifisten im Moment fast gar nicht in Erscheinung treten, oder kommen sie einfach nur nicht zu Wort? In den 50ern und 70ern, zur Zeit der Wiederbewaffnung Deutschlands oder im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg ergriffen sie das Wort. Begründungen, warum sie heute anscheinend keine Rolle spielen sollen, lesen wir heute täglich. Gleichzeitig vermisse ich die „Hoch-die-internationale-Solidarität“ der Arbeiterbewegung und des Feminismus, die ja per Definition international ist.
Mit ihrem Autor Heinrich Böll tritt die Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo (Adas Raum) in einen fingierten, weil postumen Dialog. Herausgekommen ist ein wunderschön aufgemachtes Büchlein in der Hamburger Edition Zweifel, in dem viel überklebt, ersetzt und das Schweigen in Bölls Vorlage und Otoos Replik sichtbar gemacht wird.
Bis aufs Blut – Zerfleischt in der Highschool ist ein widerständiges Werk, wuchtig-punkig, exzessiv wie Bataille, sprunghaft wie Chris Kraus und längst überfällig auf Deutsch – in dieser Ausgabe ein wohl auf ewig frischer Meilenstein, der Maßstäbe setzt.
Für Alexander Braun sagt der Umgang mit Horror viel über das allgemein Unbewusste einer Gesellschaft aus. Für ihn ist der gesellschaftliche und mentale Boden, auf dem diese Bilder gedeihen, entscheidend. Horrorgeschichten entstehen auf vielen Ebenen und produzieren ihre eigenen Metaphern. Eine ganz Kulturindustrie probt den spielerischen Umgang mit Schauergefühlen. So können Zombies als Antithese zur körperoptimierten, kapitalgesteuerten Freizeitgesellschaft oder als auferstandenes Proletariat und Vampire als aristokratische Arbeitgeber verstanden werden.
AUF DEM WEDDING UND IM GESUNDBRUNNEN ZUR CORONAPANDEMIE
Von Wolfgang W. Timmler
Dornenernte ist ein spannendes und aus heutiger Sicht packendes, zugleich angesichts der Gewaltverbrechen der vom Befreiungskampf zu Recht an die Macht Gebrachten kontroverses Stück Literatur. Shimmer Chinodya hat es aus dem Empfinden (s)einer Zeitgenossenschaft heraus verfasst, zu denen heute eine Anerkennung der Nachwirkungen und Folgen der Massaker und Gewaltverbrechen gehört. Bislang stößt das im offiziellen Zimbabwe auf taube Ohren.
Die meist schwer angeglitchte Schreibe Ableevs, „natürkluich“, nimmt sich, was ihr unterkommt, und baut sich ein versynthetaxtes Gerüst, das mehr kaputt macht als konstruiert. Teilweise scharf rhythmisch und nie, an keiner Stelle, gefällig.
Vater ist tot. Er wollte nicht mehr, sagte meine Mutter. Er konnte nicht mehr, sagte meine Mutter. Herzinfarkt auf Bestellung. Nach nur einem Tag im Heim. Unruhig die Nacht verbracht, sagten die Pfleger. Morgens, sobald die Türen offen waren, rannte er in den Garten um dort seinen tödlichen Infarkt zu bekommen. "Er hat jetzt seinen Frieden", sagte meine Mutter. "Er hat einen Scheiß, DU hast deinen Frieden!", hätte ich ihr ins Gesicht brüllen sollen, hätte sie aber eh nicht begriffen, oder begreifen wollen.
Auch wenn viele Texte ihrer Zeit, vor allem der Sprache der 1950er verhaftet sind, der Diskurs seitdem weitergeführt worden ist, besonders sprachlich, die Abkürzungen der unterschiedlichen algerischen Parteien, Namen damaliger Politik, heute weniger geläufig sind, ereilt einem beim Lesen doch schnell die Erkenntnis der Fundamentalität in jedem Text dieses Vordenkers von Auseinandersetzung wie deren Umsetzung in die radikale Aktion.
Am prägnantesten sind Krechels Bemerkungen zu Katherine Mansfield und den Schwestern Brontë. Eher allerdings schießt Leselebendigkeit ein, wenn sie sich über Begegnungen mit Brinkmann, Berlin-Friedenauer Szene um Johnson etc. oder jene Reise ins Apfelland, mit weitschweifigen Links zu Roger Deakin, Korbinian Aigner, Michael Hamburger auslässt.
In dieser Ausstellung laufen alle Lebensfäden Heino Jaegers zusammen. So ergeben sie ein Ganzes in ihrer traurig schönen und erschreckend faszinierenden Zerrissenheit. Die Ausstellung zeigt jemanden, der dokumentiert und verkleidet, was ihn bewegt, der sich aber nie selbst zu stilisieren wusste.
Was Murnane in Inland betreibt, ist eigentlich inkommensurabel für Murnane-Einsteiger & selbst für Verehrer womöglich ein Schritt zu weit ins Selbstgerechte. Jene absichtsvolle Scheuklapperei, der recht Cis-getränkte Blick auf praktisch alles wartete in anderen Büchern, am stärksten bei Landschaft mit Landschaft, noch parallel mit einer originären literarischen Gestaltidee auf, die nicht selten grandios zwischen den Zeilen operierte, Statusmeldungen zu Alkoholismus, späten Teeniewehen in Australiens Vororten, sehnsüchtigen Fantasieorten, inklusive deren Genese funkte.
In der Ausstellung von Gerrit Frohne-Brinkmann tummelt sich eine große Familie keramischer Mäuse auf dem Fußboden. Sie sind haarlos, rosa wie nackte Vacanti-Mäuse und alle tragen ein menschliches Ohr auf dem Körper, es scheint sie nicht zu stören.
Fluchen und Verfluchen, der Gebrauch von ‘foul language’ überhaupt zählt zu den wenig anerkannten und kultur(en)übergreifend verfemten, dafür unterschwellig besonders wirkungsvollen Äußerungen in egal welcher Sprache. Swearing and Cursing, so der Titel eines Sammelbands von (Ver-)Fluchexpert:innen, den Nico Nassenstein und Anne Storch als Proceedings einer Tagung in Köln vorlegen, ist dabei mehr als ein Sprechakt, das wird schnell klar.
In einem wiederaufgelegten Essay mit dem Untertitel Erkundungen zu einem moralischen Gefühl untersucht Judith Shklar (1928–1992) das „unterschätzte politische Problem“ der Ungerechtigkeit. Die breit angelegte Studie schlägt von Aristoteles, Platon, Augustinus, Montaigne, Hume, Voltaire, Rousseau etc. einen philosophiegeschichtlichen Weg ein, dessen wesentliche Komponente aber zusätzlich auf Miteinbezug von Literatur, wie dem Gerichtsroman Die Pickwickier von Charles Dickens, Michael Kohlhaas, Giottos Fresken oder geschichtlichen Vorkommnissen wie dem Erdbeben von Lissabon oder Bostoner Bränden und anderen Kriminalfällen, beruht.
Die Originalausgabe dieser philosophischen Biografie, die zeigen will, „wie das Werk aus diesem Menschen hervorquoll“, erschien 1990, als ihr Autor gerade mal 33 Jahre alt war. Umso erstaunlicher, wie einfühlsam und differenziert, wie klug und, ja, lebensweise, er bereits auf den ersten Seiten die Familie Wittgenstein schildert. Beim vorliegenden Buch handelt es sich um die überarbeitete und korrigierte Neuausgabe des gleichlautenden, 1992 erschienen Titels.
Es ist eine groß angelegte Lyriksammlung, die dieses Genre, wenn man so will, zunächst bedient & dann durchbricht. Gedichte aus den 1980er Jahren, die noch ein wenig nach PostBrinkmann riechen, sehr konkrete Poesie, läuft schließlich in einen Status, in dem das Wort nurmehr allein als Material der Bildenden Kunst aufgeht – eine konsequente Bewegung.
Das Buch mutet bizarr an, nicht weil Bizarrheit nicht genau das Terroir Batailles wäre, bizarr, weil es genau nicht von jenem exzessiven Batailletexter-Impetus verfasst worden ist, sondern von einem labilen gewollt-wissenschaftlichen Duktus, der sich nicht mit der mythischen Quelle seiner Kunstgedankenwelt & literarischen Ambition verträgt. Mit anderen Worten, Motivation & Gestalt arbeiten aneinander vorbei.
Einmal im Jahr treffe ich mich mit K zu einem langen Mittagessen, bei dem wir uns regelmäßig bis in den späten Nachmittag über Gott und die Welt, doch meistens über Politik austauschen, denn K, den ich vom Studium her kenne, verdient sein Geld als Gemeindepräsident, was mit sich bringt, dass er in vielen Gremien sitzt und über wertvolle Einblicke ins lokale und regionale Geschehen verfügt – wertvoll meint, dass sie sich zu Geld machen lassen; er ist im Laufe der Jahre wohlhabend geworden.
Pasolini war zeitlebens ein Dichter. Er begann mit jenen berühmten friulianischen Mundartgedichten, die er später revidiert veröffentlichte (von Christian Filips vor einigen Jahren inspiriert übertragen) und hinterließ eine größere Anzahl später Gedichte („Ich werde keinen Frieden finden, nie“), die nun in einem voluminösen Suhrkamp-Band Nach meinem Tod zu veröffentlichen zweisprachig vorliegen.
Früher ist Zimmerhockey nur von Büroangestellten gespielt worden, aber inzwischen zählt es auch in den Studentenwohnheimen zu den Freizeitvergnügen.
Peter Zumthor, der sich als Architekt & in Person immer ein wenig als Kultfigur geriert – das gilt besonders für seine Schriften wie für seine Art des Sprechens – hat mit der Ausstellung Dear to me einen kuratorischen Raum bestückt, in dem im Kunsthaus Bregenz und der ETH Zürich 2017/18 ein monatelanges Programm aus Ausstellungen, Performances, Konzerten sowie von ihm geführten öffentlichen Interviews und Gesprächen stattfand.
LARS: In der Zeitung ist ein Bild von einem Hochhaus. Hinter dem Gebäude hat eine Bombe eingeschlagen, und es sieht so aus, als hätten einige Hausbewohner weiße Bettlaken rausgehängt.
MARK: Stimmt. Das könnten weiße Bettlaken sein.
GITTE: Das ist Wäsche, Wäsche auf dem Balkon.
Mueller, der ein ambivalentes Verhältnis zum sogenannten Literaturbetrieb hegte und viele Jahre als Galerist, Museumsdirektor & Verfasser essayistisch-kunsttheoretischer Texte arbeitete, zeigt sich in diesem Band als profilierter Wortkünstler, dessen früheste Gedichte von den 1970ern datieren.
Diese Kurzprosa ist einem Kapitel des Romans „Posh & Lost“ von Patrick Poti entnommen, in welchem der Protagonist Edin eine Parallelwelt namens „Das Hohen Haus“ betritt, innerhalb der eine Schuhfabrik existiert, wo Kinder gezwungen werden, Wanderschuhe herzustellen. In der Fabrik macht Edin die Bekanntschaft Farooqs – Vorarbeiterin der Schuhfabrik – und findet heraus, dass zwischen seiner hopsgegangenen Freundin Aleksa und Farooq eine Verbindung besteht … Aber davon handelt diese Kurzprosa nicht. Nein, diese Kurzprosa stellt sich an, die Grausamkeit Farooqs und ihrer Schutzmänner speziell und des hohen Hauses allgemein zu porträtiert. Auch okay, oder?
Mit Die Eisbahn erscheint endlich ein neu übersetzter Bolaño-Roman, der nicht mehr seiner Frühzeit entstammt, sondern einen dezidierten „Wenderoman“ seiner Biobibliografie darstellt, der ihm 1993 die ersten Preise in Spanien einbrachte und der kein Fragment ist – abgeschlossen, selbstbewusst & mit ein paar Abstrichen so etwas wie ein erstes Meisterwerk.