6. Juli 2023

Teilhabe an Ideen



Wie mit dem Bestand umgehen, wie etwas Neues noch einfügen? Um diese Frage kreist das Werk des Graubündner Architekten Armando Ruinelli, in einer neuen Monografie zusammengestellt, um Texte und Dokumente erweitert. Der Band ist unauffällig (gut) gestaltet, vermittelt das Gefühl, obwohl neu, doch augenblicklich zum Bestand des Bücherregals zu gehören, vielleicht schon länger und vielleicht noch lange, so wie Ruinellis Bauten, zumindest von außen, ein ebensolches Gefühl vermitteln. Wie macht er das? Und interessanterweise scheint, wie den zahlreichen Fotografien zu entnehmen, das Innenleben der Räume, moderne Zimmer, keineswegs in demselben Duktus gehalten. Nicht anbiedernd, bleiben sie offen „fabrikneu“. Ihren neuen Nutzer:innen obliegt es, sie mit Patina, Gegenstand, kurz: Persönlichem in einen eigenen Bestand zu verwandeln. „Das politische Handeln zwischen Dorferneuerung und Ortsbildschutz“, wie es in dem beigedruckten Interview + Gespräch heißt, bildet sich in den Gebäuden selbst ab – vom ersten Auftrag im Dorf, „ein Stück Mauer“, bis über den zunehmenden Vertrauensgewinn der Beauftragenden zu nachhaltigen solitären Bauten, nicht nur in Soglio. Die Verwurzelung Ruinellis, verbunden mit einem abgeknickten Berufsweg (vom Bauzeichner, angestellt, zum selbst denkenden Gestalter) wirken als gewachsene Aspekte zu dessen Kompetenz in diesem Feld zusammen. Besonnenheit in den Morphemen wie dem gerundeten Stall oder die farbliche und materielle Palette bei der Implementierung von Neuem, sympathische Proportionen im Gestus des „Slow“ kennzeichnen das schmale und häufig partizipatorische Oeuvre Armando Ruinellis. Wobei in einem zunehmendem Maß auch nicht alles aufgeht beziehungsweise der Ort, vor allem wenn auswärts, mit einem Quäntchen des Zuviel bespielt scheint, wie bei den kontrasthärter anmutenden Sichtbetonobjekten und Atelierhäusern, die einen Bestand nicht unbedingt auf ihrer Seite haben. Dennoch bleibt eine solch vorsichtige Baupraxis eine Ausnahme, heute mehr denn je, seit ihrem Start mit der Mauer vor mehr als 40 Jahren in Ruinellis Heimatdorf. Dies Buch stellt nun eine genaue Auseinandersetzung her: Leggere il Tempo – unbedingt.

Jonis Hartmann

 

Armando Ruinelli: Leggere il Tempo. Park Books, Zürich 2023