28. November 2024

Kein Meisterwerk ohne Liebe

 

Monica ist vielleicht Daniel Clowes bestes, auf jeden Fall sein komplexestes Werk.

Das fängt ganz groß an, über zwei Doppelseiten, mit der Entstehung der Welt und endet im Abspann mit der Apokalypse, dem Untergang unserer Zivilisation. Vom Vulkanischen geht es in Einzelbildern im Schnelldurchlauf durch die Entstehungsgeschichte der westlichen Kultur. Von Ägypten bis zur Industrialisierung, über Hitler, die Atombombe, Little Richard (?) bis zur Sputnik und der Ermordung Kennedys, um mit einem Familienbild aus den 1950ern abzuschließen. Das Intro bestimmt den Grundton der folgenden Geschichte, die in einem amerikanischen Militärposten in Vietnam beginnt. Der Vietnamkrieg (1964–73) sowie die Hippiebewegung bilden das Hintergrundrauschen Daniel Clowes (1961 in Chicago geboren) und vieler seiner Erzählungen. Monica, seine Protagonistin, lebt aber ganz im Hier und Jetzt (wenn auch ohne Mobiltelefon und Computer), doch auf der Suche nach Mutter und Vater läuft die Geschichte durch verschiedene Zeit- und Raumebenen. Dabei taucht sie tief in die hippieske Geschichte beziehungsweise den verstreuten Restposten vergangener Hoffnungen, ihrer Mutter ein.

Penny, Monicas Mutter, hatte sie, nachdem sie durch mehrere Wohngemeinschaften mitgeschleppt wurde, bei ihren Großeltern abgegeben, tauchte nie wieder auf und hinterließ auch nie den Namen von Monicas Vaters. Clowes erzählt in vielen seiner Geschichten von Leuten, die mit ihrer Biografie hadern. Oft handelt es sich um eine Reise- als Lebensbewegung. Sie befinden sich am Ende, Anfang oder sind mitten auf ihrem Weg und rekapitulieren ihren bisherigen Lebenslauf. Auch Monica tritt ihre Reise in die Vergangenheit an. In hippiesk-skurrilen Sekten, christlichen Splittergruppen, okkulten Zirkeln, die mit den Toten kommunizieren – damals wie heute –, in denen Monica ihren Erzeuger sowie ihre Mutter vermutet, recherchiert sie deren Vergangenheit und ihre Herkunft. Mit ihr begegnen wir den Bewegungen der Sinnsuche der 60er und 70er Jahre. Monica verbindet die Suche mit einem Halt in der Vergangenheit. Im Comic wird daraus eine Mixtur aus Erleuchtungserwartungen und sexuellen Befreiungsversprechen durch alternative Patchwork- Religionen. Kinder wirken da wie Kollateralschäden – und so fühlen sie sich oft, haltlos, verlassen und beziehungsunfähig. So kennzeichnet alle Hauptfiguren von Clowes ein einsames Auf-sich-gestellt-Sein in der Welt. Alle äußeren Katastrophen scheinen bei ihm immer auch Sinnbilder für eine verkorkstes Innenleben. Da die größte Katastrophe bereits die eigene Geburt war. So endet die Suche nach Spiritualität, als Gegenentwurf zu einer rationalistisch organisierten Welt, meist in Horrorszenen. So zeigt er uns das Leben der Selbstverwirklicher von damals, abgeschieden auf dem Land, in verwahrlosten Landkommunen, als traurige, runtergekommene Notgemeinschaft. Begleitet wird der große Erzählstrom von Nebengeschichten. Der Erzählweise nach ist Clowes eher ein europäischer, der Nouvelle Vague nahestehender Comicautor. Doch seine Erzählungen spielen ausnahmslos in der weißen amerikanischen Mittelklasse, handeln von deren Abstiegsängsten und dem Zerfall familiärer Strukturen.

Auch Monica ist eine Erzählung über moderne Einsamkeit beziehungsgestörter Subjekte in einer funktionalistisch (im Gegensatz zu einer spirituell) geprägten Angebotsgesellschaft. Eine Gesellschaft, die es schafft, den Anschein zu erwecken, dass der Einzelne auch immer das Subjekt seiner Geschichte ist – seines Glückes Schmied, wenn er nur die richtigen Angebote wählt. Scheitert es, ist es eben selbst schuld. Clowes zeigt uns die Angebotspalette, von privaten bis kapitalistischen Glücks- und Erlösungsversprechen, vom Zusammenschluss in Sekten, terroristischen Splittergruppen bis zum Künstlertum. Dabei stellt er das magisch-mystische gegen die Banalitäten des Alltags und die Befangenheit im Denken seiner Protagonisten.

Das klingt frustrierend und dystopisch. Aber kein Meisterwerk ohne Liebe. Als Ästhet liebt er die Comics seiner Kindheit, Mystery-Sagen und Superhelden der 50er Jahre. Er zitiert diese mit seinen frei gestellten, etwas steif gezeichneten Figuren, vor blauen, gelben, roten monochromen Hintergründen, die die Einsamkeit dieser ins Sinnbildhafte steigern. Dabei ist Clowes kein „großer“ Zeichner und kein außergewöhnlicher Schreiber. Doch passt beides zusammen und dadurch kann etwas einzigartig Geniales entstehen – dafür steht der Comic im Allgemeinen und Daniel Clowes im Besonderen. Daneben ist er ein genialer Chronist unserer Zeit, der sich, wie ein guter Romancier, in Frauenleben versetzen kann. Auch das eine Fähigkeit, die Hoffnung macht.


Christoph Bannat



Daniel Clowes: Monica, Reprodukt 2024