28. Februar 2024

Meer, reif & verwegen


Vor Jahren kam ich auf einem Festival mit einen deutsch-spanischen Dichter ins Gespräch - es ging um die Vorzüge einiger alter Übersetzungen von Federico Garcia Lorca (von vielen als mangelhaft bezeichnet, wegen zu großem, zu sinnlichem Pathos).

Der Dichter sagte in diesem Gespräch er wünschte, die Deutschen würden endlich mal ihre Angst vor den großen Gefühlen ablegen. Dichtung sei schließlich auch Rausch und Feier, ein besonderer Zustand, und die Verwendung von Pathos sollte nicht immer so schnell gleichgesetzt werden mit schlichtem Gemüt oder Gefühlsduselei.

Obwohl ich diesen Argumenten grundsätzlich etwas abgewinnen kann, habe ich immer wieder Probleme mit rückhaltlosem Überschwang, mit Gefühlsorgien. Vermutlich ist da eine antrainierte Skepsis in mir, die im Gefühligen, Pathetischen das Ausbleiben der Auseinandersetzung, ja, ihre Vermeidung vermutet.

Matthias Santiago Staehles Gedichten ist der Pathos nicht fremd und sie bekennen sich oft zum (großen) Gefühl. Dennoch versuchen sie sich auch in der Auseinandersetzung, die allerdings manchmal etwas plakativ gerät, z.B. wenn die Gedichte mit Fragen gepflastert werden, deren Anwesenheit eine Auseinandersetzung suggeriert, diese aber wird (durch die schiere Anzahl der Fragen) aus dem Gedicht in viele andere Räume verlagert. Auch mit manchem Reim ist Staehle im Deutschen etwas zu schnell zur Hand, was die Auseinandersetzung mit Komik zu untergraben droht.

Einigen Gedichten gelingt es aber doch, Zwischentöne anzuschlagen und sich, vom Bekenntnis ausgehend, Erkenntnissen anzunähern, Gefühle zu erkunden und nicht nur zu platzieren. Wer Pathos, Liebesgedichte und Lebensfreude sucht, wird sie hier auf jeden Fall finden.

Timo Brandt


Matthias Santiago Staehle: Meer, reif & verwegen - Mar, maduro y atrevido
Gedicht, Poemas, Chili Verlag, Fechter, 2022
12 Euro, 156 Seiten.