26. Juni 2025

In einem Düsenjet der Apokalypse entgegen

 
Schrecken und Schönheit leben in »28 YEARS LATER« eng beieinander. Sie durchdringen sich. Vom Wutvirus infizierte und dadurch mutierte Neuwesen durchstreifen Blumenwiesen, als wären sie gigantische Schmetterlinge des Grauens. Oder auch Bestäuber des Todes. Und doch, Schrecken und Schönheit sind nur Begriffe. Einteilungen, die vom Menschen stammen. Kategorien. Das Leben selbst ist blind. Fortschreitend.
Zu Beginn sitzt eine Gruppe von Kindern vor dem Fernseher. Sie sehen sich die Teletubbies an, während vor der Tür bereits herzhaft zugebissen wird. Einer der Jungen kann aus dem Haus entkommen und flieht zum Vater in die nahe Kirche, der sich auf die auferstandenen Toten freut. Das Jüngste Gericht, es tagt. Warum sollte er also das Geschenk nicht dankbar annehmen? Der Junge versteckt sich. Er wird überleben, um uns später noch einmal zu begegnen.
28 Jahre später. Das Wutvirus konnte isoliert werden. Die Briten wurden wie bei einem Sonderbrexit vom Rest der Welt abgeschnitten. Boote patrouillieren, damit niemand entkommen kann, damit niemand fliehen kann. Die Insel, die sich heute abschirmt, wird in diesem Film abgeschirmt, abgesperrt. Britische Flüchtlinge sind in Europa nicht willkommen. Schöne neue Wutviruswelt.
Ganz Britannien ist verseucht? Nein, ein Dorf wehrt sich, eine Insel neben der Insel, die über einen Deich zu erreichen ist, der nur bei Ebbe die Nase aus dem Nass des Meeres streckt und als Übergang dient.
Vater und Sohn gehen auf die Jagd. Sie verlassen das Eiland, das eine Art Insel der Seligen des Gestern ist. Ein England, wie es sich ein konservativer Geist erträumt. Rückständig, weil der Tritt hinter die Frontlinie Atemluft verspricht. Ruhe. Besonnenheit. Trotzdem muss Nahrung und Feuerholz, gespendet vom großen Inselbruder, erbracht werden.
Vater und Sohn gehen auf die Jagd. Es ist eine Art Initiationsritus. Eine Einweihungsfeier des Mordes. Denn der Junge soll lernen, was es bedeutet, zu töten, weil töten, praktiziert man es nur ausreichend, zum geübten Handwerk wird. Mit Pfeil und Bogen erlegen sie langsame Zombies, die wie überfressene Würmer über den Waldboden kriechen, während sie bald auch schon einem Alpha begegnen, jenen Wutneubürgern, die groß und athletisch als Krone der männlichen Schöpfung Köpfe abreißen, als seien sie spielende Kinder, die Löwenzahn vom Wegesrand zupfen. Alles an diesen Alphas ist mächtig. Alles ist gewachsen, als wären sie das Endprodukt einer Evolution, deren Ziel tatsächlich nur das reine Überleben ist. Denn zum Überleben scheinen sie wie gemacht.
Vater und Sohn gehen auf die Jagd. Sie kehren zurück. Gerade so. In einer nächtlichen Flucht vor einem Alpha bündeln sich Schönheit und Gewalt aufs Neue. Atemlos betrachtet man die Bilder, die einem eine Nacht präsentieren, die endlos geworden scheint.
Und doch wird der Junge zurückkehren, dieses Mal mit seiner Mutter, die erkrankt, von einem Arzt, den es noch geben soll, behandelt werden soll. Einem Arzt, der, als sie ihn endlich finden, ein Wissenschaftler der menschlichen Natur ist, der ein Kunstwerk errichtet hat, das von dem Desaster erzählt, dem wir alle angehören.
Memento mori, sagt er zu dem Jungen. Bedenke, dass du sterblich bist. Dass alles ein Ende findet. Und finde die Liebe, weil nur sie, fernab der Todessehnsucht, uns zu Seglern auf den Weiten des Lebens machen kann, zu Sammlern von Träumen und Hoffnungen.
»28 YEARS LATER« ist ein Film, der mit den Möglichkeiten von Film nahezu perfekt spielt. Eingestreute mittelalterliche Soldaten, die eine Burg verteidigen, in Rot getauchte Rückblenden, atemlos gesetzte Action, die einen in den Kinositz drückt, als würde man in einem Düsenjet der Apokalypse entgegeneilen. Der Schnitt als Bewusstseinsstromtechnik.
Die Menschheit ist verloren, aber es war selten beeindruckender, dabei zuzusehen.
Für mich sicherlich einer der Filme des Jahres.

Guido Rohm


28 YEARS LATER, Regie: Danny Boyle, 2025