22. Oktober 2024

Unabgeschlossene Lauben


Bei minimal trash art erscheint nach längerer Zeit ein neuer Erzählband von Alexander Posch. Tage zählen heißt das prall gefüllte Konvolut Kurzgeschichten, von denen viele tatsächlich kurz sind im Sinne des Atems und durchaus rasant hintereinandergeschnitten. Einfache Sätze wohnen bei Posch, gehen vorüber, tragen alle eine oder mehrere Informationen mit sich, ein bisschen ungebügelt, vielleicht im Schlafanzug, nie aber aufgesetzt, gerne mit einem „gar nicht“ oder „jedenfalls“ im Gepäck. Sie sind wie du & ich, es mag gefühlt werden. In ihnen steckt eine Haltung zur Welt. „Die ist bestimmt nicht in mich verliebt, dachte ich.“ So teilen sie sich mit, so wachsen sie zusammen, bilden eine Geschichte aus. Ein Stück Realität, das dennoch mit Geschick für ein Gegenüber, Leser*in zurechtgerückt worden ist. Keine Ausbrüche, keine Umbrüche, die Rahlstedter Schule der Hamburger Schule. Auf der Suche nach der Pforte, knapp vor dem Plauderton, manchmal mit einem Gedicht im Text, immer mit einem Bein an den Orten der Kindheit, gibt eine Ich-Erzählstimme Antwort, selbstironisch, doch ohne Disrespekt für die Umgebung.

Posch lässt es kommen, redigiert sich nicht um den Verstand. Der eigene Ton wird mit viel Sustain ausgehalten. Häufig verhandelt Tage zählen pubertierende Personen, ihre Blicke, Erlebnisse, Einschneidungen. „,Wollen wir mal Entführen spielen?’, frage ich Jörn am nächsten Tag in der Schule.“ Im aufsteigenden Alter der Erzähler*innen angeordnet, sodass sich eine Art Lebensauffaltung ergibt, mischen sich Einbrüche von Genre, Fantastisches, Gore, angedeutetes Kino mit Tableaux-vivants-Momenten, jedoch nie mit Parodie oder Satire – ein gewisser Ernst des Beobachtenden dominiert stets auch die überraschendste Schilderung. Nicht alle Einträge sitzen, in weniger bekömmlichen Episoden berichtet auch einmal eine rüdere Erzählstimme, dafür gibt es neben einer wirklichen Anmutung von Panorama erlebter Welten durchaus mehrere Volltreffer im Katalog. Wie das Gefolge-Cover von Thorsten Passfeld erzählt Posch Zugängliches, z.B. in Herbst: „Morgen mähe ich den Rasen. Dann habe ich Geld.“ In der Kürze liegt gerade das Ganze, obwohl die Details oft nur wie bei Skizzen von Erzählungen aufscheinen. Am Meer ist ebenfalls ein ausnehmend gelungenes Textbild, mit größerer Fallhöhe und dickem Flow. Goldene Hamburgensien erblühen dazu zwischen den Welten: „Billstedt – in dir werde ich große Werke schaffen!“
Ein wie autobiografisches Statement zum Schreiben liefert Alexander Posch höchstselbst in Hinterm Krankenhaus: „So wie ich, der ich alles, was ich schreibe, meiner Frau zeige, genauer, es ihr vorlese. Ich verhalte mich wie eine Katze, die ihre Beute dem Besitzer hinlegt, um eine Belohnung zu bekommen, eine Streicheleinheit. Aber wie bei Katzen, die, tragen sie halb tote Vögel und Ratten ins Haus, gerügt werden, bekomme auch ich nicht immer Lob.“

Jonis Hartmann

 

Alexander Posch: Tage zählen, mta 2024