zukunft, deren zeilen
„du liegst [...] gegen die zeit“ – tatsächlich genau so fühlt es sich an. Eva Maria Leuenberger findet Poesie in einem Nichtmehrweiterkönnen. Der neue Lyrikband die spinne, bei Droschl erschienen, verhandelt die Situation vor dem Aufgeben, aus verschiedenen Perspektiven. Während draußen (was ist das?) etwas in Flammen steht, ist es drinnen (eda.) möglich oder (nur) noch möglich zu blicken, abzuwarten. Während aber die titelgebende Spinne im selben Raum ihrer Tätigkeit nachgeht, ebenfalls blickt, Netze webt. Vergleichbares gilt auch für Krähen vordem Fenster. Ist es ein Gefängnis-Setting? „der blick sticht das gift / in die haut“ – ziemlich kompromisslos, deprimierend und doch nicht umsonst, die Silbenarbeit im Angesicht einer Zellenhaftigkeit:
„sie schaut dich an;
schaut dir zu,
wie du dich klammerst
an die alten bilder:“
Refrains, leichter Versatz, Umkehrungen, alte Bilder, neue Bilder – was ist aus ihnen zu ziehen, unter welchen Voraussetzungen wofür genau? Ein flügchen spinnt hieraus einen Dialog, Polylog, führt ein Logbuch, Leseri*n wird gespiegelt in Trauer der Wandlung, Spiegelung der Veränderung. Die Klarheit der Gewöhnung, vielleicht der Umgewöhnung – meint dies oder ist das vielleicht eine Art von reflexiver Resilienz, oder ist es eben einfach jenes liegen gegen die zeit?
„die bäche liegen brach;
die frösche, deren sprache
unter den steinen klemmt,
gerben in der hitze.“
Die Klarheit von „Gewöhnung“ an selbst Ungewöhnbares wie eine morbide Seite des Lebens, in einem vollkommenen Jetzt, bannt Leuenberger in die Seiten, obwohl oder gerade weil sie überwiegend im Weiß belassen sind. Keine Silbe ist hierin verschenkt. „flügchen. ja. das schlimmste ist unabwendbar.“ Ein ruhiger Strom Ungeheures. Auch das Schreiben selbst, in den Wald oder auf dem Wald beziehungsweise eben Zellstoff, lässt das Langgedicht die spinne nicht verschont. Alle tragen die Verantwortung mit, jetzt „oder bist einfach / nicht genug für diese zeit“, „der körper ohne scham, / oder abdruck / in der welt“, der gedichtete Stempel. Somatische Gedichte im Langgedicht streuen sich hinein, die Spinnen-Raumvereinigung für Momente – fast ein Cronenberg-Kinoflashback, „die Konsequenzen / deines Körpers“. Im Verlauf jedoch, es bleibt nicht beim Liegen, beim Konstatieren, etwas wird imaginiert, der Gang ins Kühle, Waldumgebung tut sich dennoch auf. Denn die älteren Bilder sind noch da. Das Metamorphotische läuft weiter, ein Eingehen sozusagen, „von den fingern tropft harz“. Der Übergang in einen anderen Raum von hier, „ein alter traum“.
Mit die spinne legt Eva Maria Leuenberger ein weiteres weich-kristallines Sprachwerk vor. Die Dinge werden für sich sprechen gelassen, und es ist klaren Auges Poesie zu finden, der Grat nur wird schmaler und schmaler, wie lange sie eigentlich noch zu lesen ist.
Jonis Hartmann
Eva Maria Leuenberger: die spinne, Droschl 2024