12. März 2025

Schattentropfen


„Mit einem Schlag zersetzt der Wind das Bild, reißt es hinunter, wird von ihm gerissen, in die Sichtbarkeit, wirft sich auf in ihm, noch einmal hinauf steigt es, wird es gehoben, und hinaus aus dem Blickfeld, unwiderruflich.“ Von Anfang an setzt Michael Donhauser in Unter dem Nussbaum auf ein Synchronschalten von Sprache und Beobachtung. Dabei ist nicht klar, was zuerst da war. Beides beäugt sich, zur Leser*in hin, die es pflückt oder verschmäht, „in der uns je eigenen Sicht“, „ich kannte meinen Tisch auswendig“. „Ihr Stiel ist ein absurdes Stück Schwung, ohne Frucht, endet kläglich in der Ermangelung der Kirsche.“ Mit einer Sinfonie der Kommata wird die Fall- oder Steigbewegung eines Laubs aufgezeigt. In anderen Texten wirkt Schwere.


In persönlichen Rhythmen, ein Ich ist stets präsent, als Programm, liest sich die postromantische Prosalyrik von Donhauser, eine feierliche Wortefeier auf über 500 Seiten. Die Kunst des Satzbaus, die strenge Unaufgeregtheit in genüsslichen Beschreibungen des Genusses (der Sinne), „[...] ich sank durch mich hindurch und lag als Verglühen auf dem Kies.“


„Es wird Schichten zulegen von derselben Beschaffenheit.“ In Von den Dingen nähert sich Donhauser auf eine Francis-Ponge-artige Weise dem umkreisenden Beschreiben vom undringlich Dinglichen, zersetzt die die wohlkonstruierten Sätze mit stets überraschenden Zäsuren, wie Umbruch, Doppelpunkt, vor allem aber abrupten Punkten, sodass sich Betonungen verschieben, mit dem schreibenden Ich verwoben.
„Steinchen: Chengerassel: Asselversteck.“


Mit jedem neuen Abschnitt, zuweilen bereits an anderer Stelle veröffentlich, zeigt sich eine konsequent strenge wie neue Kompositionstechnik angewandt, erst später gibt es Rückgriffe auf bereits erprobte Formen. Doch durch zieht sich das Vokabular, vom Gastgarten über jenen Nussbaum bis zu den Dolden.


In den Dreizeilern finden sich sogar Haiku, wie dieser:
„Zersiedlung: Wälder
gelber Herbst und Dahlien
dann ein Frachtbahnhof.“


In den Diptychen findet man u.a. dies: „die metallenen Knöpfe ihrer Zahnregulation“, „vom Rauch der Inspiration“. Vom Beobachten wird es zur Erzählung wie in Ingeborg und Armin, dann wieder reduzierte Einwortzeilen-Gedichte. Schönste Lieder in erneut betonter neuer, d.h. interessanter, figurativer Form, allerdings zunehmend mit der Gefahr der Stilblüten im Garten; sowie der zunehmenden Abstraktion antiproportional zur Genauigkeit der Beobachtung. Im letzten Abschnitt Rosen jedoch verleiht die Präsenz einer „sengenden Sonne“ nahe einer Rose ihrer Beschreibung neue Dringlichkeit. Unter dem Nussbaum zeigt minimalistische Sonette, Prosagedichte, Prosa als gewaltige, gewichtige Werkschau eines Sprachindividualisten. Der gesamte Band erscheint als ein immerwährender Versuch, Silben zu Blättern zu machen, Blätter zu Silben. Was gelingt.

Jonis Hartmann

Michael Donhauser: Unter dem Nussbaum, Matthes & Seitz Berlin 2025