22. Juli 2024

demoliertes getier


Bei Rohstoff Literatur, einem Verlagsprojekt von Matthes & Seitz Berlin, erscheinen seit ein paar Jahren Texte, die sich gemeinsam auf keinen Nenner bringen lassen wollen, es sei denn, dass sie, was sie nicht sein wollen, glatt polierte Eindeutigkeit, gekonnt unterlaufen. Natürlich könnten Verschlagwortungen wie Lyrik, experimentelle Prosa, Logs oder Ähnliches von Band zu Band greifen, doch das jeweils Besondere ist der Einzelband, individuell nämlich. So auch Hannah Schravens außerhalb der blessuren, ein Zyklus von etwas über 50 Seiten Gedichte, der so engmaschig zusammensteht und doch hauptsächlich Raum für das Dazwischen lässt, dass sein titelgebendes „außerhalb“ bereits in der Textgestalt eingelöst wird.
Schravens Zyklus gestaltet eine Sprachwelt, die sich aus den alltäglich beigefügten (Sprech-/Sprach-) Verletzungen zurückzieht. Sie operiert mit Oszillieren, antwortet mit einem Schillern auf körperspezifische Zuweisungen. Websprache, abblendende Schriftschwärze bis ins Papierweiß, Vor- & Zurückbezüge mittels Querverweisen manipulieren die Lesegewohnheiten. Fremdzitate fungieren als essenzielle Stimmungsbrücken zwischen den Blöcken. „was ich mit / mir herumtrage ist zäh und an den säumen unnachgiebig“
Die Entwicklung des zunächst gegliederten Textkörpers um „cloud“ nebst „storch“, der zu erwachen scheint, hin zur Aura des „diva dolphins“, der schiffbrüchig ist, „die delfine die ich zu werden begann“, ist eine der Achsen in Schravens Buch.


„eine panoptische gischt
    um spiegelneuronen
        zu füßen ich meine
            zahlreichen flossen“

Vieles andere bleibt angedeutet oder gänzlich ausgelassen, sodass sich ein irisierender Trip ergibt, eine Umgebung des Lesens einstellt, vielleicht die „laguna“. Die verträumten „url“, „code“, „wet archives“ ergänzen sich zur geligen Gegend, zu der das schimmer-schummrige Cover einen Farbbezug herstellt, „obszön gehemmt und ganz allegro“. Hallräume steigen in den Kopf, dennoch geht der Band seinen eigenen Weg wie eine Taktik, „die welt aus den fugen ich in meinen“. außerhalb der blessuren lädt auf unaufgeregte Weise zum Wiederlesen, Querlesen ein. Es gelingt dem Band gut, nicht auf sich selbst auszurutschen oder Zielhaftigkeit vorauszusetzen in einem effizienten Sinne. Er plädiert auf sprachliche und formale Offenheit.


„sich selbst hervorzubringen
bedeutet
dem körper zu geben
was er nicht behalten kann
bedeutet
zu verharren
in all diesem blau“


Jonis Hartman

Hannah Schraven: außerhalb der blessuren, Rohstoff 2024