3. März 2025

ULRICH BRÄKER

 

EIN SCHWEIZER SÖLDNER IM DIENSTE FRIEDRICHS II.

Von Wolfgang W. Timmler

 

Am 22. Dezember 1735 wird Ulrich Bräker (Brägger) in Scheftenau, einem südlich des Fleckens Wattwil (Wattwyl) gelegenen Weiler im Schweizer Kanton St. Gallen geboren. Die Ortschaften liegen in einem von der Thur durchflossenen Bergtal, welches nach dem Grafengeschlecht Toggenburg (Tockenburg) benannt ist. Die Gegend ist reich an Wald und Alpweiden. Seine Bewohner leben vom Ackerbau, von der Forstwirtschaft, vom Baumwollspinnen und vom Pulvermachen.

Bräker ist der älteste Sohn eines Bergbauern, der ein mittelgroßes, wenig einträgliches Gut besitzt. Im Jahre 1754 zieht die Familie nach Wattwil, das zu den größeren Ortschaften im Toggenburg zählt. Der neunzehnjährige Bräker verdingt sich bei einem Bauern als Knecht. Nebenher hilft er dem Vater bei der Herstellung von Kehrsalpeter, der für Schießpulver verwendet wird.

Im Jahre 1755 wandert Bräker nach Schaffhausen am Rhein, wo ein deutscher Adliger angeblich Bediente sucht. Wie sich herausstellt, handelt es sich bei dem vornehmen deutschen Herrn um einen preußischen Werbeoffizier polnischer Herkunft. Der Offizier stellt den Bauernsohn aus dem Toggenburg zum Schein als Diener ein. Einfältig schlägt Bräker alle Warnungen in den Wind, ja, er gibt die Dienerstelle auch dann nicht auf, als er die wahre Identität seinen Herrn erfährt. Zu dieser Zeit halten sich sechs preußische Werbeoffiziere in Schaffhausen auf. Bräkers Herr führt den Rang eines Leutnants und befehligt drei Wachtmeister, die für ihn Rekruten machen.

Dass der preußische König in den Schweiz Rekruten werben lässt, ist nicht ungewöhnlich, stellt das Land doch von jeher Söldnertruppen für fremde Mächte. Seit dem 15. Jahrhundert hat sich in der Eidgenossenschaft das sogenannte Reislaufen eingebürgert, bei dem junge Männer ihre Heimat verlassen, um als Reisläufer oder Reisser (abgeleitet von althochdeutsch reis, reisa "Kriegszug, Fahrt") in den Kriegsdienst fremder Mächte zu treten. Weil es den Kantonen lange Zeit nicht gelingt, das Reislaufen zu unterbinden, versuchen sie, es wenigstens durch Soldverträge rechtlich zu ordnen. Erfüllt die fremde Macht den zeitlich befristeten Dienstvertrag mit einem Schweizer Söldner nicht, läuft sie Gefahr, dass ihre Werber aus dem Land gewiesen werden.

So ergeht es auch den sechs Werbeoffizieren Friedrichs II. Sie müssen die Schweiz verlassen, "weil ein junger Schaffhauser, der in Preußen seine Jahre ausgedient, keinen Abschied kriegen konnte", wie Bräker berichtet. Er folgt seinem Herrn in die Freie Reichsstadt Rottweil am Neckar, wo der preußische Offizier einen polnischen Deserteur aus Piémont anwerben kann. Am 15. März 1756 machen sich die drei Wachtmeister sowie der Deserteur und Bräker zu Fuß nach Berlin auf. Am 4. April erreichen sie die preußische Hauptstadt, wo sich ihre Wege nun trennen. Bräker wird dem Infanterieregiment Nr. 13 zugeteilt, das seinen Standort in der Krausenstraße in Friedrichstadt hat. Das Regiment besteht aus zwölf Kompanien von jeweils einhundertfünfzig Mann und wird von General August Friedrich von Itzenplitz (1693-1759) straff geführt. In der Soldatensprache heißt das Regiment despektierlich "Donner und Blitz". Bräker wird für sechs Jahre dienstverpflichtet. Der Sold ist gering und reicht kaum zum Leben aus. Viele Soldaten sind auf Zuarbeit im Tagelohn angewiesen und gehen als sogenannte Freiwächter ihren privaten Geschäften nach.

Der Beruf des Soldaten ist zu dieser Zeit ein verachteter Stand und die Armee nichts weniger als ein Zuchthaus. Durch entwürdigende Strafen erzwingen die Offiziere eine scharfe Disziplin. Die Soldaten werden zu uhrwerkmäßig funktionierenden Wesen gedrillt, die ihre Offiziere mehr fürchten sollen als alle Gefahren. Wie brutal und unmenschlich der preußische Drill ist, berichtet der Schotte James Boswell (1740-1795), der im Jahre 1764 ein Regiment in Berlin exerzieren sieht:

"Die Soldaten vor Furcht gelähmt; beim geringsten Versehen werden sie wie Hunde verprügelt. Ich bin nicht sicher, ob aus diesen armen Kerlen wirklich die besten Soldaten werden. Maschinen sind zuverlässiger als Menschen."

Besondere Probleme haben die im Ausland geworbenen Soldaten. Desertionen sind häufig, obwohl schon der Versuch hart bestraft wird. Auch Bräker spielt mit dem Gedanken, doch die harte Bestrafung im Falle eines Fehlschlags schreckt ihn ab:

"Bald alle Wochen hörten wir nämlich neue ängstigende Geschichten von eingebrachten Deserteurs, die, wenn sie noch so viele List gebraucht, sich in Schiffer und andre Handwerksleuthe, oder gar in Weibsbilder verkleidt, in Tonen und Fässer versteckt, u. d. gl. dennoch ertappt wurden. Da mußten wir zusehen, wie man sie durch 200. Mann achtmal die lange Gasse auf und ab Spißruthen laufen ließ, bis sie athemlos hinsanken - und des folgenden Tags aufs neue dran mußten; die Kleider ihnen vom zerhackten Rücken heruntergerissen, und wieder frisch drauf losgehauen wurde, bis Fetzen geronnenen Bluts ihnen über die Hosen hinabhingen."

In Preußen regiert seit 1740 Friedrich II. (1712-1786), ein kriegslüsterner Hasardeur, der nach dem Regierungsantritt unverzüglich siebzehn neue Bataillone und ein Husarenregiment aufstellen läßt. Nach dem Tode Kaiser Karl VI. (1685-1740), des letzten Habsburgers im Mannesstamm, herrscht dessen Tochter Maria Theresia (1717-1780) über das Reich, doch wird ihr das Erbe sogleich von Preußen streitig gemacht. Friedrich II. erhebt Ansprüche auf Schlesien und lässt am 16. Dezember 1740 die österreichische Provinz durch Truppen besetzen. Der 1. Schlesische Krieg beginnt. Im Frieden von Berlin (28. Juli 1742) wird Preußen die österreichische Provinz zugesprochen. Das Königreich vergrößert sich dadurch um die Hälfte seines bisherigen Bestandes.

Schlesien ist reich an Bodenschätzen und wirtschaftlich gut entwickelt, was Preußen nun eine militärische Hochrüstung ermöglicht. Im Sommer 1744 beginnt Friedrich II. mit dem Angriff auf Österreich den 2. Schlesischen Krieg. Nach anfänglichen Erfolgen gerät die preußische Armee jedoch bald in eine höchst bedrängte Lage. Der Frieden von Dresden (25. Dezember 1745) bringt keine territoriale Veränderung. Kaiserin Maria Theresia muss Friedrich II. erneut den Besitz von Schlesien zuerkennen. Der Friede währt elf Jahre. Im Jahre 1756 rüsten Österreich und Russland zum Revanchekrieg gegen Preußen. Um dem drohenden Angriff zuvorzukommen, wagt Friedrich II. den Präventivschlag, bevor die Truppen der Koalitionsmächte sich vereinigt haben. Mit dem Überfall auf Sachsen beginnt Friedrich II. den 3. Schlesischen Krieg, der sich bis zum Jahr 1763 hinzieht und in den Geschichtsbüchern der Siebenjährige Krieg genannt wird.

Am 29. August 1756 überschreiten preußische Truppen die sächsische Grenze. Auf ihrem Vormarsch stoßen sie auf keinen nennenswerten Widerstand und besetzen Dresden. Während das sächsische Heer in Pirna eingeschlossen wird, rücken die preußischen Armeen in Böhmen ein. Am 1. Oktober 1756 treffen sie bei Lobositz zufällig auf die Vorhut der österreichischen Hauptarmee. Bevor es zum Gefecht kommt, verlässt Friedrich II. das Schlachtfeld. Im Schlachtgetümmel flüchtet auch der Rekrut Bräker vom Ort des Schreckens und ergibt sich den kaiserlichen Truppen. Am 5. Oktober tritt der ehemalige Söldner von Prag aus die Heimreise an und erreicht nach dreiwöchigem Fußmarsch das schweizerische Wattwil.

Bräker führt seit längerem ein Tagebuch und ist außerdem ein fleißiger Briefeschreiber, so dass er über eine Fülle an schriftlichen Notizen verfügt. Im Revolutionsjahr 1789 erscheint seine Autobiographie unter dem Titel "Lebensgeschichte und Natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg". Literarische Vorbilder sind die Lebensbeschreibung "Heinrich Stillings Jugend" von Johann Heinrich Jung (1740-1817) und der autobiographische Roman "Anton Reiser" von Karl Philipp Moritz (1757-1793). Bräker beschreibt seine äußeren Lebensumstände und erkundet sein Seelenleben. Er bekennt sich zu seinen Schwächen und Fehlern und weiß um die Folgen. Der Erzählton ist natürlich und zeugt von hoher schriftstellerischer Begabung. Das Buch macht Bräker in der Schweiz mit einem Schlage berühmt, aber nicht reich. Bräker stirbt völlig verarmt. Sein Leichnam wird am 11. September 1798 in Wattwil beigesetzt. Die Nachwelt vergisst ihn bald, und erst im zwanzigsten Jahrhundert wird seine Autobiographie wiederentdeckt.

 

 

Literatur:

Roland Bauer: Berlin. Illustrierte Chronik bis 1870. Berlin 1988.

James Boswell: Journal. Ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von Helmut Winter. Stuttgart 1996.

Ulrich Bräker: Der arme Mann im Tockenburg. Vollständiger Neudruck der Originalausgabe von 1789. Mit einem Nachwort von Wolfgang Pfeiffer-Belli. München 1965.

Christopher Duffy: Friedrich der Große und seine Armee. Stuttgart 1978.

Michael Freund: Deutsche Geschichte. Gütersloh-Berlin-München-Wien 1975.

Ernst Friedlaender: August Friedrich v. Jtzenplitz. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Vierzehnter Band. Leipzig 1881. Seite 648f.

Georg Holmsten: Friedrich II. in Selbstzeugnissen und Dokumenten. Reinbek bei Hamburg 1969 (rowohlts monographien 159).

John Keegan: Das Antlitz des Krieges. Düsseldorf-Wien 1978.

Wolfgang Ribbe (Hrsg.): Geschichte Berlins. Erster Band: Von der Frühgeschichte bis zur Industrialisierung. München 1987.

Theodor Schieder: Friedrich der Große. Ein Königtum der Widersprüche. Berlin 1986.

Georg Thürer: Ulrich Bräker. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS) | Version vom 19.08.2004 | Online: https://hls-dhs-dss,ch/de/articles/011590/2004-08-19/ | Aufgerufen am 02.03.2025. Dem Online-Beitrag ist der kolorierte Stich von Hans Heinrich Füeßli (Füßli) als Illustration beigegeben. Füßli (1744-1832) leitete in Zürich die Buchhandlung Orell, Füßli & Comp. und setzte als Verleger das 1763 von seinem Vater Hans Rudolf I. herausgegebene "Allgemeine Künstlerlexikon" fort.