2. Januar 2024

Cowboy, der auf einem Felsblock reitet



Mit dem Roman Torero, ich hab Angst ging in der Bibliothek Suhrkamp ein Sprachwerk von beeindruckender Klarheit aus der Feder Pedro Lemebels in den Druck. Der chilenische Autor, Performancekünstler, Fotograf und Queeraktivist Lemebel schreibt, ohne sich an irgendeiner Stelle vom großartigen Sprachstrom auszuruhen, in befreiender Frechheit über die Beziehung zwischen einem jungen involvierten Widerständler namens Carlos und jener älteren „Tunte von der Front“, die sich in einem geplagten Santiago ineinander verknallen. Weitere nominell angerissene Gestalten wie die „Tania von der Guerilla“ treten auf, agitieren, feiern, kichern, unterbrochen von Episoden aus dem gelangweilten Lebensrest des Ehepaars Pinochet:
„Der Diktator trat aus dem Haus, verfolgt von der Kakadulitanei seiner Frau, die noch im Morgenmantel war und sich an die migränegeplagte Stirn fasste.“
Es ist Endzeit in Chile, jedenfalls Endzeit einer fast 20-jährigen Militärdiktatur. Pinochets Albträume nehmen Gestalt an wie beispielsweise die Kondore, die ihn wie durch einen Zoom von weither angreifen, was sich letztlich als things-to-come bewahrheiten wird: Später im Buch findet ein Schusswaffenüberfall („Die Marseillaise des Schlafes donnern“) auf dessen Autokolonne statt, dem er sich selbst zwar mit Glück entziehen kann, bzw. sein Chauffeur tut es, sich dabei aber endgültig einnässt.
In ebenso unausgesprochener Schwebe bleibt die Fortführung von beider Protagonist*innen Verhältnis aus Agitation, Verliebtheit, Radiohören oder das Verstecken diversen Politguts: „Das sind irrsinnig wertvolle Manuskriptrollen, sehr empfindlich“, ihre Flucht zum Strand, ein wiederkehrendes Heimsuchen des Titel-Lieds Torero, ich hab Angst als Melodie zwischen den Handlungsfetzen. Des Öftern streut Lemebel Gedichte als Kapitelabschluss ein oder eben Schnulzensongtext. Die abstrakte wörtliche Rede des Romans ist direkt mit dem Erzähltext verschmolzen, die Liedtexte der Radio-DJs hingegen werden ausgezeichnet. „Liebeslieder, die aus dem Radio schallten: ,Du hast mich zugeritten, und deshalb frage ich mich jetzt’, all die frivolen Sätze, mit denen sie die Studenten ganz aus dem Konzept brachte.“
Übersetzer Matthias Strobel gelingt ein inspirierender Spagat zwischen deutsch-hispanischer Versponnenheit, der sowohl das Tempo hält wie die Balance der derben Tragikomik, und die ständige Präsenz vom „ruhenden Racker“ oder der „Baby-Boa“, zu einer leidenschaftlichen, stets selbstironischen Demonstration von erzählerischen (=Lebens-) Möglichkeiten – u.a. was nur alles mit den Silben „Tunte“ komponiert werden kann, vom „tunterapunzeligen Tonfall ihrer Stimme“ bis „Tunterich“ auf einem spritzigen Kindergeburtstag: „Onkel, die Claudia hat den Finger in die Torte gesteckt [...] Schluss jetzt, heulte sie tuntös auf. Könnt ihr nicht eine Minute leise sein.“
Widerständige Literatur voller Neugier auf alles, dabei trotzdem ein Pageturner, Pedro Lemebel hat das reichlich genial kombiniert. Torero, ich hab Angst war überfällig, endlich ist es da.

Jonis Hartmann



Pedro Lemebel: Torero, ich hab Angst. Suhrkamp 2023