Keine Freundschaftsgeschichte
Am Anfang ist der Stern. Ein Stern auf dem „Walk of Fame“. Hier wurde Elisabeth Sparkle, gespielt von Demi Moore, verewigt. Hier liegt ihre Karriere wie in einem Grab, das allmählich vergessen wird. Wir blicken mit der Kamera von oben, gleichsam aus dem Himmel, dem Jenseits. Der Zahn der Zeit nagt an dem Stern. Risse. Menschen, die ihn achtlos beschreiten. Essen fällt. Soße. Ketchup. Ein Stern, der wie mit Blut besudelt scheint, als eine – man ahnt es – Vorwegnahme der Geschehnisse.
Elisabeth hat den Zenit, den Produzenten vorgeben, überschritten. Sie ist ihnen zu alt, soll ersetzt werden. Harvey (Dennis Quaid) ist einer von ihnen. Er scheint ein Zirkusdirektor des Grauens. Die Kamera karikiert ihn, reißt sein Gesicht auseinander, holt ihn an uns heran, während er pinkelt, frisst. Ekel sei sein zweiter Name. Keine Tiefe, keine Geschichte, nichts. Er ist der allmächtige, alles verschlingende Moloch, der die Frauen einsaugt, verdaut, ausscheidet. Eine Art sich selbst erhaltendes Klo.
Nach einem Autounfall bekommt Elisabeth einen USB-Stick zugesteckt, der sie auf „The Substance“ aufmerksam macht. Mit diesem Serum erschafft man eine jüngere, angeblich bessere Kopie des Selbst, wobei es zu einem tatsächlichen Geburtsvorgang kommt. Man gebiert sich aus dem Rücken heraus, gleichsam aus dem Rückgrat, an dem es einem fehlte.
Denn stets ist Elisabeth die Handelnde, sie könnte das Grauen, das sie entfacht, beenden, möchte es aber, wohl weil die Einsamkeit an ihr zehrt, nicht tun. Leicht ist der Weg, der in die Hölle führt.
Sind es die Männer, die sie dazu bringen, eine angeblich sexuell attraktive Version zu erschaffen, zumal sie mantraartig vom Busen, den eine Frau im Gesicht tragen müsste, schwafeln? Vielleicht. Klar wird es nicht, wie so vieles in diesem Film im Verborgenen bleibt. Wer hat „The Substance“ erschaffen? Warum? Geld möchte er/sie/es wohl nicht damit verdienen.
„The Substance“ erzählt von Wandlung, von Körpermodifikation, von Jugendkult, Einsamkeit, Hollywood, Angst, Gewalt; aber der Film erzählt es im dauernden Gestus der Karikatur, und dort, wo bei der Karikatur oft ein Bild genügt, reiht er so viele aneinander, dass sich bald das Gefühl einer Ermüdung einstellt; der Körper des Zuschauers, der ich in diesem Fall bin, durchlebt ebenfalls eine Wandlung, indem er vor Fleischüberschüttung, auch des Fleischs von Tieren, die man zubereitet, eine Art Blindheit durch Abstumpfung erfährt. Eine Überfütterung des Sehnervs, der diesen schließlich rülpsen und einschlafen lässt.
Ein jeder sieht stets seinen eigenen Film, weil er mit seinen Wünschen und Hoffnungen, Ängsten und Leidenschaften vor der Leinwand sitzt. Man betrachtet einen Film mit so unterschiedlichen Gefühlen, dass man nicht sagen kann, wer der richtige Zuschauer für eine Geschichte ist. Die, die mir heute nichts bedeutet, kann mir morgen ein Freund werden.
Heute war „The Substance“ mir zu laut, zu unfreiwillig komisch, zu grell, zu vorlaut und vor allem zu oberflächlich, wo er doch so unter die Haut gehen soll – und dies im wahrsten Sinne der Worte.
Guido Rohm
„The Substande“, Regie und Drehbuch: Coralie Fargeat 2024