„Joker: Folie à Deux“ – Eine Krankengeschichte

Der Körper ist eine Ruine, eine, bei der Knochen wie letzte einsame Wände eines Hauses nach einem Bombenangriff trotzig stehen, um von dem Haus zu künden, zu dem sie einst gehörten. Wände, die ahnen lassen. Die ein Fingerzeig sind Richtung Himmel, dort, wohin sich der Körper, diese Ruine, wohl auflösen möchte, wohin der Körper fliehen möchte.
Denn um Flucht geht es in diesem Film. Der Joker, gemalt aus Fluchtfarben, um Arthur Fleck ein zweites Gesicht zu geben, einen zweiten Körper, der sich, eine Zigarette zwischen den Lippen, wie Gummi bewegt, der sich streckt, sich dehnt, sich beugt, um so zu jener Brücke zu werden, über die Fleck schreitet, um der Joker zu werden; wenn auch noch nicht der endgültige, aber einer seiner Vorläufer.
Joaquin Phoenix spielt um sein Leben, er spielt eigentlich nicht, sondern lebt bzw. stirbt den Körper des Jokers.
Ein Film als Krankenakte, als Krankengeschichte, die vom Martyrium einer zerstörten Seele, auch sie eine Ruine, erzählt, die weggesperrt, sich mit der Kraft der Fantasie ermächtigt.
Arthur Fleck, der bei einem Besuch bei seiner Anwältin, Harley Quinn begegnet, die ihm zum Engel wird, der seine Selbstermächtigung abermals entzündet, dieses Mal aber vor allem hin ins gleißende Licht eines Musicals.
Das Musical als Flucht aus dem schnöden Alltag, als Messer, um sich von Fesseln der Realität zu befreien, um so zu einem Frank Sintra zu werden, der direkt aus Hölle gestiegen scheint, um im Gegenlicht, Rauch speiend, seinen Auftritt zu zelebrieren.
Wenn Arthur Fleck Farbe aufträgt, Schicht für Schickt, dann gebärt er damit ein neues Gesicht, ein anderes Leben, eine Alternative, eine Version, die sich aufschwingt, dem Horror seiner Kindheit zu trotzen. Er wurde missbraucht, wird missbraucht, denn dieser Arthur Fleck ist ein Opfer, ein gebrochenes Wesen, dem der Joker die Gelegenheit bietet, vom Opfer zum Täter zu werden, denn auch das ist er, ein Täter, der am liebsten alles dem Erdboden gleichmachen würde, um auf dieser verbrannten Erde eine neue Welt anpflanzen zu können; ein Landwirt des Schmerzes und Todes, wie man sie heutzutage an so vielen Plätzen der Welt wüten sieht.
„Joker: Folie à Deux“ ist wie ein Röntgenbild unserer Tage, das all die Tumore und Brüche aufzeigt, aber auch die dunklen Keller der Psyche beleuchtet, nicht ohne einen Arthur Fleck zu zeigen, der all diese Gänge in der Tiefe ebenfalls erkundet und beschreitet; ein Arthur Fleck, der schließlich vor Horrorclowns flieht, der vor sich selbst flieht, vor seinem Ich, seiner Geschichte, seinen Verbrechen, der begreift, dass ihn kein Gesang dieser Welt erlösen kann, sondern nur die Liebe.
Joker 2 ist ein Lachen, das einem lange schon im Hals stecken geblieben ist, wo es wütet und schreit, wo es Witze erzählt, die keine sind. Am Ende bleibt ein Mensch, der von Anfang an verlassen wurde, der im Stich gelassen wurde, um eben jenen Stich nun hautnah zu erleben.
Wahnsinn als Befreiung vom Wahnsinn. Manchmal scheint nicht mehr zu bleiben, nur die ehrliche Berührung durch ein liebendes Gegenüber, einen Engel, der ins Leben gesunken ist, um als Hoffnung vielleicht der Besuch im Gefängnis zu sein, von dem man hofft, dass er gekommen ist.
Nur die Liebe kann uns erlösen.
Guido Rohm