1. Februar 2025

Heimsuchende

 
Tino war wieder besonders früh wach, er hat sein Bett durchwühlt, als wäre er auf der Suche nach etwas, vielleicht nach sich selbst, nach einem Klumpen Gold, ach, er weiß es selbst nicht, er weiß nur, dass er schlecht geträumt hat, nur was er geträumt hat, weiß er nicht, das Gefühl ist geblieben, ein schlechtes Gefühl, ein Gefühl bei dem man das Gesicht zusammenbeißt, also ist er früh aufgestanden, die ganze Nachbarschaft lag noch selig im Schlaf, alle haben sie sich durch die eigenen Träume gewühlt, ihre eigenen Betten, auf der Suche nach sich selbst, einem Klumpen Gold, selbst die Nachbarn auf der anderen Straßenseite, die er den ganzen Tag über an ihrem Tisch sitzen sieht, schlafen noch, auch Anne, seine Frau, er aber ist wach, er wacht über sich und die Nacht, er setzt sich an den Computer, durchwühlt das Internet, nach sich selbst, nach einem Klumpen Gold, nein, nein, Unsinn, da müsste er jetzt sagen, Herr Autor, schreiben Sie nicht so einen Unsinn über mich, das geht nun aber nicht, ich habe im Internet Nachrichten gelesen, aber, das gebe ich zu, so Tino, der sich nun endgültig in diesen Text einmischt, ich sollte keine Nachrichten mehr lesen, ich sollte mehr schreiben, denn Tino schreibt, er hat einige Bücher veröffentlicht, in Kleinverlagen, schlechte Verkäufe, einige gute Besprechungen, also Tino, den wir an dieser Stelle aus dem Text bitten, sitzt am frühen Morgen am Computer und liest Nachrichten, die er gar nicht mehr lesen möchte, oh nein, er hat die Schnauze voll, aber so was von gestrichen voll, und doch liest er Tag für Tag wieder die Nachrichten, die ihm Angst machen, selbstverständlich, der Krieg in der Ukraine, die USA, der Mord in Aschaffenburg, er muss manchmal schon aufpassen, dass er sich nicht radikalisiert, dass er nicht zu jemand wird, der er nicht sein will, aber wer will er sein, vielleicht, er überlegt, ein Privatdetektiv im Los Angeles der 30er oder 50er Jahre, ja, das wäre was, das stellt er sich vor, Weltflucht, Eskapismus, den kann einem doch keiner Übel nehmen, nein, mit Sicherheit nicht, also, er könnte ein Privatdetektiv sein, denkt er, er lehnt sich in seinem Stuhl zurück, als sich die Tür öffnet, Mann sind das Beine, lang wie … Anne, ja die Beine seiner Frau, sie ist also auch wach, gemeinsam können sie nun über den anbrechenden Tag wachen, jemand muss es ja machen, Tino, der Privatdetektiv mit seiner Partnerin Anne, die sich aufs Sofa setzt und im Internet sucht, vielleicht nach sich selbst, einem Klumpen Gold, egal, sie wird Nachrichten lesen, die ihr so gar nicht bekommen werden, so lange, bis sie beide aufstehen und sich anziehen, um einen ersten Morgenspaziergang zu absolvieren, mitten durch das Dunkel des Tages, der erst noch anbrechen wird, denn so viel ist sicher, es wird diesen Tag zumindest noch geben.  

Guido Rohm