25. Februar 2024

Tante Leah glaubte nicht an Lautstärke



„Mit ausreichend Zeit und einer hilfsbereiten Bibliothekarin kann jede noch so unbegabte Person lernen, den Taj Mahal nachzubauen.“ Darin steckt vielleicht so etwas wie die Essenz von Maya Angelous Denken und Wirken, eine ungewöhnliche Mischung aus Pragmatik gepaart mit Kunstfertigkeit/Offenheit. In ihrer mehrteiligen Autobiografie, deren sechster Teil als Maya Angelous Memoire 6 nun bei Suhrkamp erscheint. Mit jedem Schlag unserer Flügel zeigt sie einmal mehr schlagfertig, witzig und engagiert, wo es lang ging für sie und damit, wo es lang gehen könnte in allen Zeiten. Beziehungsweise wie man es machen könnte – doch wie Toni Morrison schreibt: „Sie hatte neunzehn Talente, gebrauchte zehn und war einfach einzigartig“, nicht alle sind Maya Angelou. Und wie sie selbst hinzufügt, spät im Buch: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich keine Autobiographie schreiben werde. Ich habe nicht gefeiert, aber ich bin gerade erst vierzig geworden. Vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren.“ Das sagt sie zu ihrem Verleger am Telefon. Nun liegt das großartige Werk auf Deutsch vor, von Marieke Heimberger übertragen, die Urausgabe von 2002.
Die wiedererlebte Zeit umfasst die 60er Jahre, die auch für Angelou mehr als einen Umsturz bedeutet haben. Zurück aus Ghana, wo sie ihren Sohn und Partner gelassen hat, um sich mit Malcolm X, Baldwin, King und anderen Aktivist*innen zusammenzutun, wird sie von privaten Zweifeln, akuter Geldnot und dem sie verfolgenden Expartner heimgesucht, während wie ein Stakkato aus geschichtlichen Amplituden die Unruhen von Watts („Ein voll beladener, sehr konzentriert dreinblickender Junge erspähte mich. ,Brauchst du’n Radio?‘“, die Ermordungen Malcolm Xs und Kings über Angelous hier-und-dort-auf-und-nieder Leben einprasseln. Zu Baldwin: „James Baldwin flog auf die Bühne und redete schon, bevor er das Mikrofon erreichte. Die Menschen erwarteten seine maschinengewehrähnliche Ratttatttatt-Art zu sprechen. Nach jedem Satz gab es Rufe der Zustimmung. Er drosch auf das Land ein, das er liebte, erklärte, es könne doch alles so viel besser machen und müsse das auch endlich tun, denn sonst, das könne er prophezeien, komme nach der Flut das Feuer. Er sprach zu den und für die Menschen, als gehörten sie zu seiner Familie und würden ihn alle lieben. Seine Unbesonnenheit kitzelte sie, und seine Redegewandtheit streichelte sie.“
Stationen als Sängerin, Schauspielerin, Stückeschreiberin, Dichterin, Interviewerin, Polit- und Sozialagitatorin zwischen Hawaii, San Francisco, L.A. und New York – erzählt in dem für sie typischen Understatement, das nicht als Pose daherkommt. Die Notwendigkeit als Überlebensstrategie im Rückgrat führt Angelou in klarster Outspokenness zu Papier, und auch dieser Teil der Autobiografie steckt voller Schlüsselstellen, Nichtlarmoyanz und dem Wechselspiel aus Selbstkritik und Systemkritik, das sie, als Tänzerin, überquert. „Afroamerikaner verlassen den Mutterleib mit der Bürde ihrer Hautfarbe und einem kollektiven Gedächtnis voller entsetzlicher Volksmärchen. Es gibt so viele Lieder, so viele Tanzlieder, zu denen man stampft und schnipst und klatscht und deren Quintessenz lautet: ,Ich lache, um nicht zu weinen.‘ Gospels, Blues- und Liebeslieder erzählen oft davon, wie schwer eine Geburt ist, wie schwer der Tod, und dass es dazwischen auch nicht viel leichter wird.“
Ein weiteres beeindruckendes Buchwerk von Maya Angelou aus Kommunikation und dringlicher Aktualität, das vor allem Frische ausstrahlt. Oder etwas platter ausgedrückt: unbrechbar!

Jonis Hartmann

Maya Angelou: Mit jedem Schlag unserer Flügel. Suhrkamp 2024