13. November 2024

Lustige Gesellschaft



Was praktizieren performative Erzählungen? Nämliches stellt Mara Genschel neuer Band bei Engeler Midlife-Prosa vor. Sie performen das Erzählen oder anders gesagt: Leser*in liest nicht, Leser*in macht mit, oder noch anders: Was Leser*in lesen möchte, windet sich. Fast in Scham, andererseits aber so mächtig in gewollter Aberwitzigkeit, dass stilistisches Neuland aufscheint. Genschel, eine Praktizierende, fängt das Wesen der Performance en passant ein, ihre Wortsetzungen lassen sich von sich selbst einholen, beinahe parasitieren, lavieren, larvieren oder überholen sich im trashigsten Sinn – doch nie umsonst. Genschel dreht beliebig im Ton, parodiert sich selbst beim Parodieren & schreibt doch, hier, geniale Texte, mit „schaurig offnem Ende“, deren kategoriensprengende Waghalsigkeit nur von ihren eigenen Verkörperungen getoppt wird.
Märchenartige Dingeführung, die Dichterin Martha Gescheul mehrfach am Abgrund, „urmelig-wankende Naziviren“ bedrohlich im Garten, Abfuhren am Weinberg, direkt & zugleich hintergründig operiert die Autorin Realitäten, erzählt clever über derzeitige Immer-Verstrickungen, spart sich vor allem selbst in mannigfaltigem Auftreten nicht aus & konstatiert in der Schlusserzählung, einer der besten in Midlife-Prosa, „Ich kann so nicht arbeiten!“, was gesichert scheint, „Das Ereignis des Benennens, Vorhabens, ist die Sensation, finde ich, als Autorin. „Ich liebe dich.“ Das ist doch auch nur ein Vorhaben, wenn wir ehrlich sind.“ So heißt es an einer früheren Stelle im Buch. In Sprachauflösung begriffen, stottert diese letzte Brieferzählung auf das Buchende zu, scheinbar nichts sehnlicher erwartend.
Andere vorhergehende Experimente in flüssiger Prosa, wie die selbstironische hard-boiled Tatort-Stimmen in Das Fenster zum Hof, lösen einander ab in immer weiteren Ansätzen, „Plötzlich fehlte mir mein Pferd sehr“. Gern decken sie sich selbst & ihre Rolle(n) im Gestus auf, „(hier evt. noch bessere Formulierung finden)“. „Ich faltete eines der Edding-Memes zu einem analogen kleinen Witz zusammen. Es war absolut nichts zu erkennen darauf. Ich schmiss es weg.“
Ein wiederkehrendes anderes Thema ist das Altern, in fast allen Beiträgen wird offener oder diskreter auf die Midlife-Prosa-Titelei verwiesen. Zwischendurch wird wiederum sprachlich aufs Ganze gegangen, zum Beispiel mit anagrammatischen Mitteln oder saftigen Dreizeilern, um voranzugelangen wie in einem Spiel der Ablenkung. Dem Schreiben auf die Schliche gefühlt, das ist vielleicht die Programmatik des performativen Erzählens. Die Dramaturgie stützt mit ruhigeren Episoden den fulminanten Krach der letzten Noise-artigen Verleger*innenansprache: „Mama“. „Weinend klappte sie den Laptop auf“, „zu“, „auf“. Der Mitstrudel ist unaufhaltsam. Am Sprachverbrauch wird geschraubt, Midlife-Prosa ist kein Vergnügen, aber es ist ein Vergnügen.

Jonis Hartmann

Mara Genschel: Midlife-Prosa, Engeler Schupfart 2024