schreiben - das Unbeendbare entdecken

„Ein Würfelwurf wird niemals den Zufall auslöschen“, um diese Wort (Wert)-Anordnung kreist im Werk Maurice Blanchots viel. Er, einer der wenigen Grenztexter zwischen Philosophie und Literatur, die in beiderlei Feldern beachtliche Folgschaft aufweisen, wird mit einem weiteren wichtigen Werkbaustein, hier zur Literaturtheorie, im Diaphanes Verlag veröffentlicht: Der literarische Raum, genial in seiner rätselhaften Offenheit von Marco Gutjahr übersetzt. Jeweils in Klammern, wie bei „Menschen [etres]“, sich im Klaren, dass bei aller Klarheit der Sicht die Wege der Sprache eigensinnig verlaufen. Gutjahr fügt im Nachwort an, wie bei dem Namen Blanchot „ein Nicken oder Zucken“ seitens etablierter Philosoph*innen, Wissenschaftler*innen anstehe, u.a. aufgrund seiner „strategischen Ungenauigkeiten“, wo jedoch nichts weniger als die Literatur selbst ins Spiel kommt. Ist Literatur ungenau? Der stringent komponierte Band arbeitet mit literarischen Mitteln, um Aussagen zu einem literaturwissenschaftlichen Thema zu finden, noch davor, sie auch zu treffen, zu dem Thema des Werks. Für alle, die selbst schreiben, der wohl zentralste, schwierigste Aspekt im Prozess. „Wer sich in das Werk vertieft […], muss mit allem brechen“, es geht um Verzweiflung, letztlich ihr Überkommen.
Auf der Spur des „die Sprache spricht sich“ im Fall des Schreibenden steht Blanchot für Versuche ein, von Mallarmé bis zu späteren Strukturphilosophien ein einfaches und doch schwieriges, mithin paradoxes Etwas sprachlich zu fassen: die Gestaltung vom Sprechen, also das Schriftstellen. In Mallarmés eigentlicher Erfolg wird es ausgedrückt, das Ringen, Abwarten, Gezerre um einen souveränen Raum dafür, vielleicht a room of lingo’s own – mit etwas Hinzugesinne. Nicht selten überläuft Blanchots gleichwohl ernste Auseinandersetzung ins Esoterische. Das ist nicht negativ gemeint. Die Klarheit seiner Sprache bewirkt es. „Das Werk ist einsam: Das bedeutet nicht, dass es nicht mitteilbar bleibt, dass der Leser ihm fehlt. Doch wer es liest, tritt in diese Affirmation der Einsamkeit des Werkes, so wie jener, der es schreibt, dem Wagnis der Einsamkeit angehört.“
Konzise Abschnittsaufteilung, kühle Bearbeitung, eine besondere bildliche Abstraktheit, die seltsamerweise dennoch in Fühlbares gleiten kann, zeichnen Blanchots literaturwissenschaftliche Prosa aus, die zwischen Philosophie und Prosa schwankt und starke Zugpferde hat: „das Stöhnen des ewigen Außen“, Verwandte sucht. Stete Umkreisungen der Frage, was Schriftstellerei jenseits der erstellten Schrift für eine Tätigkeit sein mag und was sie mit den sie Ausübenden anstellt, wie, dass die Schreibenden „zum leeren Ort werden“ müssten. Blanchot sucht nach Tod/Schreiben-Zusammenhängen bei Rilke wie Kafka, die darauf abzielen, aus dem Begriff Tod eine Mehrdeutigkeit zu entwickeln, was konträr wie aussichtslos erscheint, doch mit Textbeispielen lyrisch verstärkt zumindest als Unterfangen Gültigkeit erlangt. „Ich schreibe, um zu sterben.“ Damit einhergeht das Thema Nacht oder „die andere Nacht“, orphisch verhandelbar: „die Tiefe zeigt sich nicht von Angesicht zu Angesicht, sie offenbart sich nur, indem sie sich im Werk verbirgt.“ Nicht außer Acht lässt Blanchot bei aller Einfühlung ins Schreibende, den Blick auf die Lesendenschaft – ohne sie bekanntermaßen kein Schreiben, das wiewohl nicht immer literarisch ist. „Bevor es von jemandem gelesen wird, ist das nicht literarische Buch immer schon von allen gelesen worden, und diese vorherige Lektüre ist es, die ihm ein solides Dasein sichert.“ Obwohl diese Grenze gezogen wird, sei im literarischen Schreiben aber folgendes gültig: „Die Tatsache, dass die Formen, die Gattungen keine wahrhafte Bedeutung mehr haben [...] weist auf diese tiefgreifende Arbeit der Literatur hin, die danach strebt, sich klar in ihrem Wesen abzuzeichnen, indem sie die Unterscheidungen und die Begrenzungen zerstört.“
Dieses Buch ist hellsichtig. Es vollbringt das Paradox, sich schreibend über das Schreiben zu äußern. Obwohl die Texte weitgehend bereits über 70 Jahre alt sind, scheinen sie erst jetzt mit ihrer seriösen Herausgabe in Deutschland ankommen zu können. Sie sind fundamental.
Jonis Hartmann
Maurice Blanchot: Der literarische Raum, Diaphanes 2025