4. März 2024

Hans Petri, Mainstream 2023 (Katalog)

Hans Petri, Mainstream 2023

Ein Buch etwa in den Abmessungen einer LP-Hülle. Das Faksimile einer Plattenhülle, nur der Titel ist ausgetauscht. Und heißt jetzt Hans Petri Mainstream 2023 (nicht mehr New Order Substance 1987). Die original Hülle muss mal nass geworden sein.
    Im Buch Fotografien von nackten jungen Frauen, Baustellen und zerbombten Städten. Die verschiedenen Motive stehen weder antagonistisch noch kooperativ zueinander, am ehesten sind sie magisch aufeinander bezogen. Aber alle Abzüge sind homogenisiert, weil alle gleichermaßen abgeschabt sind, so wie schon die Plattenhülle. Zerkratzt mit Knicken, von Haushaltsgummibändern zusammengeschnürt, immer wieder von der Hosentasche in die Jackentasche umgepackt, sortiert, herumgetragen, neu arrangiert, bis die Fotoecken sich rundeten.            
    Berieben vom Körper des Künstlers, inniglich zergniedelt wie Andachtskärtchen eines gläubigen Katholiken. So sind die sexistischen und gewaltvollen Motive zusätzlich Teil einer eigensinnigen, magischen Frömmigkeit. Es ist leicht vorstellbar, dass es sich bei den Sujets gleichermaßen um Exorzismen wie um BDSM handelt. Geheime Praktiken von Heilerinnen und Magiern, mit Schweiß, Tränen und strömendem Wasser. Selbstverständlich sind solche Praxen nicht im Sinne der katholischen Kirche, genauso wenig wie im Sinne des Kunstmarkts – diese Praxis ist wesentlich verborgen und heimlich. Die jungen Frauen erscheinen gleichwohl als Heilige mit ihren Attributen (den Gerätschaften ihres Martyriums). So wie die Heilige Katharina mit ihrem Rad, die Heilige Ursula mit ihren Pfeilen in der Hand erscheint bei Petri Fräulein X mit ihren Schwimmflügeln und Fräulein Y mit ihrem Spülschwamm oder Badeschuhen. Wieder befinden wir uns aufgrund der Attribute nah am Wasser. Vermutlich sind diese Heiligenfiguren ehemalige Fluss- und Quellnymphen. Wie das zusammenhängt, kann man bei Aby Warburg nachlesen, Stichwort Nachleben der Antike. Zu Nymphen dann weiterlesen bei Nabokov.
    Bei Hans Petri meint man einen Kult beobachten zu können, der sich auf eine eigensinnige, privat magische Auslegung heiliger Schriften konzentriert, in Petris Fall sind es wohl vor allem besagte selbst angefertigte Heiligenbildchen und LPs statt Schriften. Hervorzuheben ist dabei, dass es gar nicht so wichtig ist, welche Schrift/Platte/Heilige Jungfrau es ist, denn die Motive wiederholen sich in Neukombinationen quer durchs ganze Buch. Sie scheinen immer wieder lediglich eine Schleuse in einem Delta von Gedankenströmen zu öffnen.

(Nora Sdun 2024)