Tauschhandel in der Provinz
Zu Magnus Mills` „Indien kann warten“
Von Gustav Mechlenburg
Im Grunde handelt es sich bei Magnus Mills` neuem Buch „Indien kann warten“ um eine Provinzposse. Es gibt zwar eine Hauptperson, nämlich den Ich-Erzähler - ein junger Mann, mit dem Motorrad auf dem Weg nach Indien, der eigentlich nur ein paar Tage in dem kleinen Ort im Nordwesten Englands hatte bleiben wollen. Doch dieser gerät Hals über Kopf in die Zwänge der grotesken Dorfstruktur, dass wir mehr von dieser als von ihm erfahren.
Zunächst geht es nur um einen kleinen Deal. Der Campingplatzbesitzer Mr. Parker bietet ihm kostenloses Zelten an, wenn er das Tor grün anstreicht. Doch kommen immer neue Angebote von Aushilfsarbeiten. Eines Tages erscheint ohne sein Wissen eine Anzeige in der Zeitung „Kreissäge mit Mann zu verleihen“. Doch aus Dämlichkeit oder Eitelkeit beschwert sich unser Held nicht bei Parker, sondern lässt sich regelrecht versklaven. Auch die Tochter Parkers nimmt seine Dienste bei ihren Hausaufgaben gerne in Anspruch. Erst nach Wochen sagt er sich: „Ich hatte langsam den Eindruck, dass Gail meine Gutmütigkeit ausnutzte.“ Langsamer von Begriff kann man nun wirklich nicht sein.
Andererseits, wie hätte er sich sonst verhalten sollen. Auf Konfrontationskurs gehen? Den Ort verlassen. Das wäre die einzig richtige Entscheidung gewesen. Aber die Tauschangebote klingen immer zu verlockend und binden ihn. Als er versehentlich bei einem Dart-Turnier nicht erscheint, mangelt es nicht an Vorwürfen. Sein Platz in der Gesellschaft ist längst vorbestimmt. „Sie können nicht dauernd alle Leute im Stich lassen. Nicht, wenn Sie den Plan haben, hier die Milch auszufahren.“ Von diesem Plan wusste er bis dahin allerdings noch gar nichts. „Sie sollten versuchen, sich mit den Leuten anzufreunden, und nicht rumrennen und sie verärgern.“ Das sind natürlich alles nur freundliche Ratschläge. Aber in einem so übersichtlichem Gelände wird es zugleich zur Drohung.
Mills hat ein zynisch-witziges Theaterstück in Romanform geschrieben. Da gibt es schräge Gestalten, die Tag und Nacht mit einer Pappkrone auf dem Kopf herumlaufen, Dialoge, gespickt mit Missverständnissen, und einen Trottel, dem alle Anbiederung schlussendlich gar nichts gebracht hat. Wenn dann auch noch sein „Vorgänger“ gut gelaunt aus Indien zurückkehrt, nicht nur die Tochter klar macht, sondern sich auch sonst alles nimmt, was ihm beliebt, nimmt das Stück ein absurd-bitteres Ende. Als unser Held schließlich pleite und allein und zudem seines Motorrads beraubt, von Mr. Parker gefragt wird: „Ist ja noch mal gut ausgegangen, was?“ Lautet seine Antwort nur: „Stimmt.“ Denn, was hätte sonst alles noch passieren können.
Magnus Mills: Indien kann warten. Suhrkamp Verlag 2002