19. Februar 2006

Der Roman als Vogelgrippe

 

Nick steckt in gruseligen Untiefen der Pubertät. Nick, der über weite Strecken des Textes immer nur der Junge heißt, ist unsterblich verliebt in seine Cousine Ruth. Sie ist ein frühreifer Satansbraten mit besten Kontakten zur einheimischen Mokick-Gemeinde. Nick hat bei solcher Konkurrenz keine Chancen.

 

Er beobachtet, wenn Ruth nicht zu sehen ist, mit dieser typisch apathischen Halbstarkenglotze wie sein Vater, Jakob Voss, mit seinem großen Geflügelmastbetrieb eine wirtschaftliche Bruchlandung erlebt. Mathias Göritz, geboren 1969 in Hamburg, beschreibt moderne Landwirtschaft der 80er Jahre in Norddeutschland. Lichtanlagen, Futterrinnen, vollautomatische Ställe und, ganz realistisch, vor allem Schulden.

 

Der Vater war Bürgermeister einer Kleinstadt und sucht nach seinem politischen Scheitern nun als Geflügelmäster sein Glück. Dass Fremde mit ihren Ideen, und seien sie noch so basisdemokratisch konzipiert, bei der eingeborenen Landbevölkerung auf Misstrauen stoßen, weiß jeder, der schon mal versucht hat, auf der Hofeinfahrt eines norddeutschen Bauern seinen Wagen zu wenden. Drohungen sind ein mildes Wort für die Reaktion der brummigen Landwirte.

 

Aber das festsitzende Misstrauen ist nicht der Grund für das Scheitern des Geflügelimperiums der Familie Voss. Es ist eine Vogelkrankheit.

 

Das Buch erzählt zwei Geschichten unabhängig voneinander. Die eine Geschichte ist die der wirtschaftlichen Pleite. Die andere Geschichte ist die der Pubertät Nicks, eine notgeile Dauererregung mit Anfällen von Übelkeit und Aggression.

 

Die Geschichten über das Spannen in der Hose des Voyeurs und Mädchen, die einen unvermutet ansprechen, sind eine sichere Sache. Schwüle Fantasien und rabiate Zuneigung. Auch eine Vergewaltigung in den Scheinwerfern der Motorräder liest sich prächtig. Literarisch ist das allerdings wertlos, solange die Person, die den Leser an solche Schauplätze führt, nicht irgendwie dazu in Position gebracht wird. Aber Nick ist ein apathischer Glotzer, grundsympathisch zwar, aber nicht besonders mitteilsam, was seine Gedanken betrifft.

 

Die Geschichte des unter Erfolgszwang stehenden Vaters ist die interessantere. Was haben Menschen für Träume, wenn es nicht sexuelle Träume sind? Wie kommt ein Mann darauf, mit Geflügel Geld machen zu wollen. Wie verhält er sich gegenüber Verhandlungspartnern und seiner Familie. Leider bleibt auch die Person des Vaters vage, da man ihn nur durch die Augen seines Sohnes sehen kann. Wenn man Nick mit seinem Hormonhochstand doch nur für eine halbe Stunde mit Ruth ins Bett stecken könnte, hätte man Zeit den Schauplatz einer Lebensidee zu sondieren.

 

Nora Sdun

 

Matthias Göritz: Der kurze Traum des Jakob Voss, 213 Seiten, Berlin Verlag 2005

 

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