20. September 2005

Mystisches Bremen

 

Endlich mal keine mehr oder weniger amüsanten Kindheits- und Jugenderinnerungen, wie sie so viele deutsche Jungautorinnen und -autoren liefern, sondern ein echter Familienroman, den Sabine Schiffner hier vorlegt. Allerdings verspricht der Roman mehr, als er halten kann. Es geht um eine Bremer Kaufmannsfamilie, deren Leben und vor allem Gebären aus Sicht von vier Frauen unterschiedlicher Generationen dargestellt wird, angefangen von der Apothekertochter Hinrike im Jahr 1911 bis hin zu deren Urenkelin Sigune 1981. Daneben darf natürlich ein dunkles Familiengeheimnis nicht fehlen, in diesem Fall wurde ein junges Dienstmädchen der Familie von Hinrikes Vater geschwängert, das daraus entstandene Kind der Mutter des Mädchens in Obhut gegeben, mit der der Junge später nach Südamerika auswandern wird. Der Apotheker hingegen verkraftet das Ganze nicht und verschwindet, oder anders ausgedrückt, er geht ins Wasser, allerdings wird seine Leiche nie gefunden. Der Grund seines Verschwindens bleibt den meisten Familienmitgliedern weitgehend verborgen, und das, obwohl das betroffene Dienstmädchen Agnes bis ins hohe Alter der Familie dient.

 

Das Kinderkriegen, und zwar das eheliche, ist auch ein zentraler Punkt im Leben der Frauen der Familie. Hinzu kommt das Kindbettfieber, das alle in unterschiedlicher Ausprägung befällt und das als ein Beweis für die Besonderheit der Familie angeführt wird. Dieses Bewusstsein des Besonderen ist für den Leser teilweise schwer nachzuvollziehen, zwar wird Elisabeth, die Tochter Hinrikes, mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern geboren, das mag in der Tat ungewöhnlich sein, aber reicht es auch, um der ganzen Familie etwas pseudo-mystisches zu verpassen? Wohl kaum. Auch der vermeintliche Verzicht auf die wahre Liebe, den alle Frauen geleistet haben wollen, wirkt bei näherer Betrachtung doch arg an den Haaren herbeigezogen. Bei Elisabeth mag noch Liebe im Spiel gewesen sein, nichtsdestotrotz ist ihr eine standesgemäße Heirat am Ende wichtiger gewesen, als ihrem jüdischen Geliebten ins Exil nach Mexiko zu folgen. Bei ihrer Tochter Frieda reicht gar die kurze Begegnung mit einem farbigen US-Soldaten als Verheißung der großen Liebe. Da muss man sich dann doch ein bisschen wundern, wo hier schon Derartiges entdeckt wird. Allein Friedas Tochter Sigune sieht man die leidenschaftliche Begegnung mit einem Nachfahren Agnes’ nach, mit 18 hat man noch das romantische Potenzial, in One-Night-Stands die Liebe des Lebens zu entdecken.

 

Zur Verdeutlichung des Freiheitswunsches der Frauen dienen im Roman die unterschiedlichsten Vögel, da gibt es Vogelinseln im Morgengrauen, eingesperrte Papageien aus Mexiko, und die Kinder bringt in Bremen natürlich ein Kranich. Obwohl der Storch doch auch zur Gattung Vogel gehört. Nun ja. Da wird das liebe Federvieh ganz schön bedeutungsschwanger strapaziert.

 

Trotzdem, das Ganze ist durchaus unterhaltsam, wenn es nicht stört, dass die aufgebaute Spannung nicht angemessen aufgelöst wird. Und schließlich ist die Einschätzung der eigenen Bedeutsamkeit ja etwas gänzlich Subjektives, und außerdem, welche Familie hält sich nicht für etwas Besonderes, nur so lässt sich letztendlich Familiengeschichte schreiben und weitergeben.

 

Katrin Zabel

 

Sabine Schiffner: Kindbettfieber. Roman. 334 Seiten. S. Fischer Verlag 2005

 

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