Außerirdische
Wie gut, dass es sie gibt. Moderne Industriegesellschaften sind nicht nur undenkbar ohne Scharen von Angestellten, ohne diese unermüdlichen, unfreiwilligen Witzspender wäre die Welt auch nur traurig ernst und geschäftig wie ein tristes Großraumbüro. Die beiden Autoren des handlichen Taschenbuchs „Die Angestellten des 21. Jahrhunderts“ sind jung, albern und von Beruf Markensoziologen. Sie haben selbst in unterschiedlichsten Angestelltenverhältnissen gearbeitet und wissen, wovon sie sprechen.
Unter den Berater- und Do-it-yourself-Büchern ist es gewiss das lustigste, für eine sachliche Betrachtung ist es zu redundant. Sachlichkeit ist auch nicht beabsichtigt. Im Namen- und Sachregister am Ende des Buches wird genau dieser penible und Erkenntnis suggerierende Krampf der Ratgeberliteratur vollendet persifliert.
Der Soziologe Siegfried Kracauer schrieb 1930 den Essay „Die Angestellten“. Eine Mentalitätsstudie wie von einem anderen Stern. Errichiello und Zschiesche setzen seine Arbeit fort. Sie beobachten eine riesige Population, die eigenartige Riten und Obsessionen pflegt. Das hartnäckigste Klischee, das in dem Buch immer und immer wieder mit unglaublichem Spaß bemüht wird, ist das Bild vom Angestellten, der Angst hat, vor sich selbst und der Welt, und der deshalb lieber im Verborgenen bleibt. Es lassen sich absurde Beispiele dafür finden. Seien sie auch teilweise überzeichnet und grotesk, sie sind doch allesamt geistreich beobachtet. So soll der Urlaub des abhängig Beschäftigten ein bis ins kleinste Detail kontrollierter Ausstieg aus dem Alltag sein. Trainiert wir nur auf rutschsicheren Unterlagen. Die Beziehung wird erst beendet, wenn eine neue in Sicht ist. Kurz, die Angestellten umgeben sich mit einem TÜV-geprüften Fuhrpark von Freizeit- und Spaßgeräten, um die gähnende Leere in ihren Köpfen mit rastloser Wochenendplanung zu stopfen.
Das Buche ist gegliedert in viele Kapitel mit einfachen Überschriften wie „Der Arbeitsplatz“, „Die Presse“, „Bündnis 90/die Grünen“, „Der Musicalbesuch“, „Der Stau“, „Der Lebenslauf“. Das hindert die Autoren aber nicht, in allen Kapiteln noch mal die Ergebnisse der vorherigen wieder aufzunehmen. Und sie haben ja auch ein bisschen Recht damit, denn alles hat natürlich mit allem zu tun, erst recht, wenn man Phänomene der Sinnstiftung beobachtet, die wesentlich über Arbeitsplatzsicherung, Rentenversicherung, Reiserücktrittsversicherung und Bausparverträge laufen. Wenn sich die beiden Autoren nur selbst nicht so sicher wären. Ihre Rhetorik ist frotzelnd und manchmal herablassend, sie umweht ein Hauch von Klugscheißerei, ein genuines Merkmal der Angestellten. Da hält das Vorwort Konstantin Weckers dagegen. Aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung im Kunstbusiness weiß er, dass es mit der Boheme oft auch nicht sehr weit her ist. Mitläufer und Pseudokünstler unterscheiden sich kaum von der Mentalität, die einzig den Angestellten unterstellt wird.
Gustav Mechlenburg
Oliver Carlo Errichiello, Arnd Zschiesche: Die Angestellten im 21. Jahrhundert. Mit einem Vorwort von Konstantin Wecker. Illustrationen von Tomi Ungerer. 254 Seiten, 9 €, Moderne Heimat 2005