24. August 2005

Neue Freiheit

 

Bei acht Stunden Büro in kippsicheren ergonomischen Stühlen wuchert eine Idee von Freiheit, die das Grenzenlose, auch das grenzenlos Unvernünftige propagiert. Wie in dem Werbespot, wo es darum geht, Autos in "Vier gewinnt"-Manier auf einem Parkplatz zu arrangieren. Im Trailer heißt es dazu im Jugendherbergston: "Tu nicht so erwachsen!"

 

Es sind solche Trivialisierungen, über die sich der Arbeitstheoretiker Frithjof Bergmann empört. Freiheit sei eben nicht die Abwesenheit von Grenzen, schreibt Bergmann im aktuellen Vorwort zur deutschen Übersetzung seiner bereits 1977 erschienennen Habilitationsschrift "On Being Free". Grenzenlosigkeit sei eine Idee, die zum Scheitern verurteilt ist, weil sie nicht zu leben ist.

 

Freiheit ist für Bergmann etwas ganz anderes. Freiheit bedeutet Verantwortung für die eigenen Handlungen. Nur wer sich frei entscheidet, kann sich mit der Sache, der er sich widmet, identifizieren. Und umgekehrt, nur wer sich mit seinen Handlungen identifiziert, ist frei. Deshalb bewertet er Demokratie als beste Regierungsform - weil sie das intelligenteste und effektivste System darstellt. Menschen können wählen, sie dürfen sich identifizieren. Es wäre schön, wenn das auch für die Arbeitswelt gälte.

 

Der Philosophie-Professor an der University of Michigan, bekannt durch sein Konzept der Neuen Arbeit, legt in "Freiheit leben" die philosophischen Grundlagen seines Lebenswerks dar. Das Attraktive an der "New Work"-Bewegung, die weltweit stetig Anhänger gewinnt, ist ihre Ideologielosigkeit. Gleichermaßen lassen sich seine Ideen zur Effizienzsteigerung eines Unternehmens, zur sozialeren Gestaltung von Staaten oder als Lebenskonzept kapitalismuskritischer Aussteiger oder sozial-ökologischer Umdenker nutzen.

 

Beteiligung ist das Stichwort, bei dem Bergmann einhakt. In seinen Augen ist es ein Skandal, wie viel Energie in fremd bestimmten und damit undemokratischen Arbeitsprozessen vergeudet wird.

 

Dabei gebe es leicht zu verwirklichende Alternativen, sagt Bergmann. Man könnte häufiger seinen Arbeitsplatz wechseln. Ein Rotationsprinzip schützt vor Stumpfsinn genauso wie vor Selbstüberschätzung und Arroganz gegenüber anderen Berufsgruppen. Natürlich kann ein Neurochirurg nicht mit einem Töpfer den Arbeitsplatz tauschen, wohl aber die Sekretärin mit dem Verkaufsleiter.

 

Noch nicht revolutionär genug, dieser Ansatz? Bergmann geht noch weiter und fordert, Arbeit und Lebensunterhalt zu entkoppeln. Das würde die Gesellschaft in einem noch nie da gewesenem Maße befreien. Der Tag, an dem man für Geld nur noch drei, vier Stunden die Woche arbeiten muss, sei nicht mehr fern.

 

Das Festklammern an der Idee der Vollzeitbeschäftigung hält Bergmann für "hysterisch". Es stehe in immer größerer Diskrepanz zur technisch möglichen Automatisierung. Was ist schlimm daran, fragt Bergmann, stumpfsinnige Arbeitsplätze mit Automaten zu besetzen?

 

So utopisch manches von dem anmutet, was Bergmann in dieser vor 28 Jahren erstmals veröffentlichen Schrift aufführt, philosophisch ist sein Buch fundiert und rhetorisch ist es brillant. Vergleicht man "Freiheit leben" mit Bergmanns "Neue Arbeit, neue Kultur" aus dem vergangenen Jahr, hat sich an seinen Grundthesen kaum etwas geändert. Dafür an ihrer Bekanntheit. Für die Umsetzung seiner Ideen muss der Philosophieprofessor allerdings immer noch gegen kindische Vorurteile bezüglich Freiheit, Demokratie und Wirtschaft ankämpfen.

 

Gustav Mechlenburg

 

Frithjof Bergmann: Freiheit leben, Arborverlag 2005, 18,80 Euro, 384 S., ISBN 393685503x.

 

Financial Times Deutschland vom 24.08.2005

© 2005 Financial Times Deutschland

 

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