29. Juli 2005

Philosophie ist kein Dialog

 

Zu Ende ist die Zeit, als Mitterand Philosophen in den Élysée einlud, um sie zu Fragen der Politik heranzuziehen. Vorbei auch die Zeit, als Geistesgrößen vom Kaliber Foucaults oder Sartres mit ihren Kommentaren Wesentliches zum Tagesgeschehen beitrugen. An ihrer Stelle finden sich nur noch „Darsteller von Philosophen“ oder gar Entertainer – so der Herausgeber des Passagen-Verlags Peter Engelmann. Um der Frage nach den aktuellen Möglichkeiten philosophischen Engagements nachzugehen, trafen sich Alain Badiou und Slavoj Zizek 2004 in Wien zur Diskussion und das daraus resultierende, nach These (Badiou spricht), Antithese (Zizek spricht) und Synthese (Einigung im Dialog) aufgebaute Buch „Philosophie und Aktualität“ liegt nun als Ergebnis des harmonischen „Streitgesprächs“ in Engelmanns Verlag vor.

 

Badiou, der sich hier streckenweise wie Lyotard liest, argumentiert für die „philosophische Situation“, der ein Maßstab fehlt. Die Aufgabe der Philosophie ist es daher, nach selbstbestimmten Regeln zu entscheiden. Unter Bezugnahme auf die Kallikles-Passage in Platons Gorgias pocht er auf Verdeutlichung der Distanz zwischen Macht und Wahrheit und reklamiert für die Philosophie, die „grundlegenden Wahlmöglichkeiten des Denkens zu verdeutlichen“. Er setzt damit das Ereignis gegen die scheinbare Wahl. Damit bleibt die Philosophie exterritorial. Sie spricht über die Welt, aber stellt sich ihr damit nicht zur Verfügung. Im Anschluss findet sich ein Programm in acht Punkten, mit denen Badiou seinen Übergang von der singulären „Ereignis-Aussage“ zum universell Gültigen zu verdeutlichen versucht.

Darauf folgt Zizek, dem man für sein Insistieren auf Brüchen und Begriffsänderungen dankbar sein muss, mit der Behauptung: „Die Philosophie ist kein Dialog.“ Schaltet sie sich ein, verstrickt sie sich in den „falschen Alternativen“ der „disjunktiven Synthese“ und gelangt nicht zu ihrer eigentlichen Aufgabe neuer Begriffsbildung. Negative Beispiele sind für ihn Habermas, Horkheimer und Adorno, die den Schritt aus der Kritik nicht bewältigt haben.

 

Die beiden Streitenden verstehen sich sehr gut und gehen in den meisten Aussagen konform – der an diese beiden Aufsätze anschließende Dialog kann dann, nach Zizek, wohl keine Philosophie mehr sein. Sie bedauern gar ihr Einvernehmen und entschuldigen sich beim Leser dafür. Eine nette Geste am Ende eines vollmundigen Plädoyers gegen die systemstabilisierenden Staatsphilosophen, für den revolutionstheoretischen Umsturz und gegen die kleinen Korrekturen zweier Wegbereiter einer permanenten Revolution.

 

Hannes Loichinger

 

„Philosophie und Aktualität. Ein Streitgespräch“ Alain Badiou, Slavoj Zizek, Passagen Verlag 2005

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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