Erotik eines Wandschranks ohne Bild
Vielleicht mag der Verlag C. H. Beck, der ja auch Gesetzestexte veröffentlicht, dem Autor gesagt haben, er möge doch den diesjährigen Sommer-Roman schreiben und ihn mit der Moral und den nötigen Lebensratschlägen zu dieser an Recht und Ordnung armen Zeit versehen. Vielleicht war es auch anders. Wer böse ist, sagt: Lesen lässt sich dieses Buch wie ein Strichcode an der Zellenwand einer Besserungsanstalt. Wer aber guten Willens ist, dem fliegen die Seiten dahin und der ist mindestens so amüsiert wie genervt von der Lektüre.
Die Hauptperson Christine Perlacher wird vom Text angeschrieben. Der Erzähler lugt kurz über ihren Augenbrauen in die Welt und skizziert das Herumstehen auf dem Flughafen, den Flug, das Hotel- und Inselleben. Geschrieben wird an Christine entlang, von ihr aus und in sie hinein. Sie ist eine in Hamburg lebende Sozialarbeiterin, die Arbeitslose aufsucht, um deren tatsächliche Bedürftigkeit zu überprüfen. Sie hat sich ihren Urlaub „sauer verdient“, wie die Leser auf der ersten Seite erfahren: eine Woche Teneriffa.
Da mögen sich Autor und Verlag gedacht haben: Das ist der Stoff, aus dem entrüstete Arbeitnehmer-Träume gemacht sind. Arbeitnehmer, die für 11 Prozent Arbeitslose mitackern müssen. Geschildert wird ein Pflicht-Bewusstsein, das nichts erträgt, was sich nicht in den Alltag von Arbeit und Urlaub integrieren lässt. Die Diktatur des Mittelmaßes. Das werden die Frauen, die Brigitte, Petra und Co. kaufen, verstehen. Auch wenn Christine bereits 42 ist und somit etwas älter als die Zielgruppe der Frauenzeitungen.
Der Roman handelt vom Versuch der Erholung einer stressgeplagten Frau, die sich 160 Seiten selbst aufmuntern muss, da sie ja allein unterwegs ist. Um sie herum nur stumpfes Gesocks aus der bundesrepublikanischen Friedhofsruhe namens Gegenwart: Rentner, Geschäftsleute und weit und breit keine potenziellen Loverboys in Sicht. So scheint es zuerst.
Mit einer geschorenen Sprache, die gelegentlich skelettös klappert, wird ein Kurzpassspiel von Pseudo-Reflexionen vorangetrieben, mit der sich die Welt basierend auf Äußerlichkeiten und einem Rest an bildungsbürgerlicher Moral erschließt. Anfangs eingekesselt von den eigenen Vorurteilen, entspannt sich Christines Wahrnehmung aber im Laufe des einwöchigen Urlaubs, sodass ihr die Mitmenschen nicht ausschließlich als Hindernisse für ihre verdiente Ruhe erscheinen. Während der gesamten Reise erläutert sie ihren Arbeitsethos und stellt sich unablässig Fragen („War es überhaupt nötig, zu verreisen? Sie war noch keineswegs zusammengebrochen vor Überlastung, Erschöpfung, Verdruss. Da wäre sie also plötzlich im Urlaub und fragte sich auf einmal, warum? Sie war noch fit am Abgrund. Womöglich betrieb sie nur Geldraushauen. Oder sie flog, weil es Sitte geworden war, im Winter das Weite zu suchen? Wer nicht flüchtete, galt als mittellos. Was, Sie waren gar nicht weg? Wir waren wieder auf Rügen. Die Wellness ist dort mittlerweile optimaler als auf Sylt. Alles neu an der Ostsee. Jetzt wird Sylt für Stillstand und Abzocke bestraft. Gut so. Entkrampfen. Lassen. Die anderen und sich. Die Welt, die ist ein Irrenhaus, tralalala ...“)
Das verweist auf ein reichlich fremdgesteuertes Leben mit einer Menge Schrott im Kopf, inklusive zwischenmenschlichem Geschwätz, das scheinbar nicht abzustellen ist. Und immer wieder Salzwasserschleier. Vor den Augen, in der Nase ... sie hängen im Text wie Klebstoff, als sinnliches Moment, als letzter Wert, als Zufluchtsort.
Christine Perlacher ist eine blasse Frau, die sich gut zuredet, der gut zugeredet wird, um sich vor dem psychischen Untergang zu retten. Nichts scheint ihr so fremd, wie ein echtes Gefühl. Das gerade gilt es zu vermeiden. Als lauere darin eine tiefe Gefahr. Einzig einer alten Frau („Mutti Gröpel“), die sie in ihrem Arbeitsbereich betreut, scheint sie echte Zuneigung entgegenzubringen. Ex-Liebhaber und Gelegenheits-Lover werden mit Briefen bedacht, die aber nicht abgeschickt werden. Diese Frau kämpft für nichts, sie ist leer, leidenschaftslos, fast möchte man sagen, ausgeglichen, wenn es sich nicht um einen inneren Scheinfrieden handeln würde. Ihr Innenleben ist so erotisch wie ein Wandschrank ohne Bild. Wo leichtes Licht ist, tappt auch jemand schwer im Dunkeln.
In fragmentarischen Selbstgesprächen und kommentierten Beobachtungen wird das Gehirn der Dame offen gelegt, die Seele bleibt (und wirkt) weitgehend nebulös im Treiben der Gedanken und verweist auf den männlichen Autor, der sich hier als Alter Ego (für) eine Frau hält. Stimmt das? Ja, nein, vielleicht, ganz so einfach ist es denn auch nicht. Es bleibt unklar, ob der Autor nicht ein Spiel mit den Erwartungen seines Lesekreises spielt und sich von den Gedanken seiner Hauptperson distanziert, oder sich über diese in gepflegtem, kaum spürbaren Unterton belustigt. Das bleibt in einer netten kleinen Schwebe, mit der der Text ganz selten auch aus unvermuteten Richtungen ansegelt. Bis man sich wundert, ob es hier zu einer Bruchlandung kommen wird, die dann aber, wie bei einer Anti-Novelle, ausbleibt. Dort, wo das Buch endet, beginnt „es“: Ein Surfer in schwarz-glänzendem Neoprenanzug baut sich vor ihr auf. Donnerwetter. Da setzt man einen weiteren Strich an die Zellenwand.
Carsten Klook
Hans Pleschinski: Leichtes Licht, C.H. Beck 2005