Junge Würde
Ernsthaft, wie nur zwanzigjährige Männer sein können - noch in den Glossen würdevoll und vernünftig. So vernünftig, wie man in den letzten Jahrzehnten nichts mehr in Zeitungen las. Es ist rührend. Ich denke unwillkürlich an frühe Aufnahmen mit vierzigjährigen drauf, für heutiges Empfinden unbeschreiblich alt, weil nämlich würdevoll mit Stock, Hut und Anzug ... jedenfalls vernünftig und würdevoll oder noch besser: würdig durch Vernunft.
Sanft hochmütiger Feuilletonismus, wertkonservativ mit unerschütterlichem Misstrauen gegenüber „Zigarettenautomaten, Fernsprechautomaten, Schokoladenautomaten“, ihrer Unmenschlichkeit wegen. Und gleichzeitig die Großstadt ehrfurchtsvoll als Wunderwerk und Ort dämonischer Montage liebend. Diese misstrauische Faszination kennt man von Döblin und Kästner, Moralisten alle – der Stil modern, aber zurückhaltend, nicht dekadent aber lyrisch angefressen. „Es ist nicht Ruhe hier, aber Stille“, und genauso kann man eben auch überlegen, ob man nun eine „Leuchte“ sein will oder eine „Persönlichkeit“, und wieder Rührung, was das nun wirklich für einen Unterschied machen soll? Ruhe oder Stille oder Persönlichkeit oder Leuchte - Berggruen macht einen Unterschied. Es ist das Vertrauen des Feuilletonisten in den Wortschatz. Für alles ist das richtige Wort zu finden möglich, und Sprachlosigkeit ist höchstens Thema der Lyrik, nicht der Tageszeitung. Der Krieg liegt noch in der Zukunft.
Nora Sdun
Heinz Berggruen “Kleine Abschiede“ 1935-1937, Berlin Kopenhagen Kalifornien, Feuilletons, Glossen und Artikel, Transit Verlag 2004, 126 Seiten