16. Juni 2004

Dukatenpolka

 

Geld regiert die Welt. Die Weltgeschichte wäre nicht zu verstehen, gäbe es nicht das Streben nach Profit. Eine marxistische These, in den 1960er Jahre aufgestellt, geht sogar noch weiter: Nicht nur Politik und Alltag werden vom Kapitalismus geformt, sondern auch die Gesetze der Naturwissenschaft. Soll sagen, man könne sich die Welt auch ganz anders vorstellen - selbstverständlich besser. Heute setzt der Altphilologe Eske Bockelmann noch einen drauf und behauptet: Die Logik des Marktes hat sich bis tief in unsere psychischen Wahrnehmungsstrukturen gefressen. Sein Traktat "Im Takt des Geldes" will dies anhand des Rhythmus nachweisen. Der sei in seiner heutigen Form beileibe nicht selbstverständlich.

 

Dies zu beweisen, hätte ein Verweis auf den Gamelan oder andere östliche Musikformen genügt. Bockelmann aber wählt den großen geschichtlichen Wurf und zitiert seitenweise antike griechische Verse, deren Daktylus mit dem Rhythmusgefühl von heute kaum etwas zu tun hat. Nur so lässt sich laut Bockelmann zeigen, dass der neuzeitliche Takt, der Töne in ein Zeitraster fügt, einen weltgeschichtlichen Bruch zu Ohren bringt.

 

Zu diesem Bruch kam es im 17. Jahrhundert, zeitgleich mit Veränderungen der Geldwirtschaft. Was sich damals getan haben soll und wie beides zusammenhängt, belässt der Autor leider im Vagen. Bockelmann sinniert über den Übergang von Feudalismus in geldwirtschaftliche Verhältnisse, das Aufkommen des Kreditwesens und auch die doppelte Buchführung. Der zunehmend bargeldlose Handel habe eine einzigartige Abstraktion in Gang gebracht, die erstmals Äpfel mit Birnen vergleichbar werden ließ. Wie bei Verschwörungstheorien, wo plötzlich alles passt, wenn man sich die Welt nur erst einmal zurechtgelegt hat, funktioniert auch Bockelmanns Entdeckung. Vom Gedanken getrieben, dass das moderne Denken vollständig von der funktionalen Abstraktion des Geldes durchdrungen ist, sind selbst ganz unmittelbare Erfahrungen wie die Rhythmuswahrnehmung nicht mehr unschuldig. Nur argumentiert Bockelmann gerade umgekehrt. Er behauptet, erst das Phänomen Rhythmus könne den Wirkzusammenhang des Geldes aufdecken. Das ist falsch. Dem Takt kann man vielleicht gesellschaftliche Verhältnisse ablauschen, aber an ihm nicht deren Ursache erforschen.

 

Auch wenn Bockelmanns Herleitung des neuzeitlichen Denkens und Fühlens aus der Geldwirtschaft nicht überzeugt und sein Entdeckergestus zuweilen lächerlich wirkt - als Einzelstudien zu Rhythmus, Geld, Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaft sind seine Ausführungen fundiert und informativ. Einer Kritik an kapitalistischen Verhältnissen enthält sich der Autor wohlweislich: Wer den Einfluss des Geldes auf unser Leben so umfassend veranschlagt, dem fehlen notwendig die Argumente zur Veränderung.

 

Gustav Mechlenburg

© 2004 Financial Times Deutschland

 

Im Takt des Geldes Eske Bockelmann zu Klampen 2004, 511 S., 36 Euro, ISBN 3934920373.

 

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