16. März 2022

foul language



Fluchen und Verfluchen, der Gebrauch von ‘foul language’ überhaupt zählt zu den wenig anerkannten und kultur(en)übergreifend verfemten, dafür unterschwellig besonders wirkungsvollen Äußerungen in egal welcher Sprache. Swearing and Cursing, so der Titel eines Sammelbands von (Ver-)Fluchexpert:innen, den Nico Nassenstein und Anne Storch als Proceedings einer Tagung in Köln vorlegen, ist dabei mehr als ein Sprechakt, das wird schnell klar. Genutzt werden beim verbalen Rotzen aus dem Moment und seiner Emotion heraus die unberücksichtigten oder in Vergessenheit geratenen, aus den Augen der geläufigen wissenschaftlichen Analysen gerückten Materialitäten und Modalitäten: Spucke und eine tonale Intensität, eine gewisse Hochfrequenz bei den Schallwellen, Gestik und Mimik und ‚die Stimme‘. Dazu ethnische Codierungen und Underpinnings, die auch in einer globalisierten, sprich nur mausklickentfernten und migrationsintensiven Welt ihren Eigensinn bewahren als lokaler Kosmos im Erdumspannenden.


Auf die von der bisherigen Forschung weitgehend übersehenen kontextuellen und sonst wie paraverbalen Aspekte des Fluchens und Verfluchens, diesem Abjekt eher denn Objekt der linguistischen Beschäftigung, richten die Herausgeber:innen ihr Augenmerk. Es geht ihnen um eine erweiterte, ‚holistische‘ Perspektive, „a more holistic approach to swearing“ (185).


Das ist neu und innovativ, denn sie gehen dadurch anders um mit Sprachmaterial, das auf empiro-linguistische Weise erhoben, gespeichert, transkribiert und in dem üblichen, schwer laienverständlichen Code ausgewertet worden ist:



        góonà              gwèar-íi-d                  òo     (.)      hàbeéa     Gáagà
        give IMP.SG    calabash-PS-UR        male.VOC    oath        PSN
        ‘give me the calabash. good grief’ (83)



Nassenstein und Storch, beide aus der traditionell im sprachwissenschaftlichen Orbit kreisenden und von außerlinguistischen Einflüssen wenig berührten Afrikanistik, kriegen den Übertrag eines so annotierten Materials in neue Einsicht gut hin in ihren Beiträgen zu Mock Chinese, dem Spottchinesisch in der sinokolonialen Gegenwart Kinshasas (DR Kongo), und vergangenen Eindrücken aus Westafrika, die auf den Gegenwartsfluchtpunkt Mallorca zulaufen. Andere Beitragende gehen mit ihrem - meist selbst erhobenen – Material anders um, eher traditionell und so, als besäßen die transkribierten Sprech- und Sprachdokumente sowas wie ein tag, das ihre Analysanden verpflichtet auf die Aktivierung von zweifellos etablierten, aber ebenso zweifellos auch durchausprobierten Interpretationsschablonen. Von Stimmintensität oder der Spucke als Teile des Ver-Fluchens als außeräußerlicher Phänomene ist hier wenig die Rede, dafür von ‚illokutionären Akten‘ (also der Intention der Sprechenden beim Verwünschen) und ihren Wirkungen auf die Adressierten (dem perlokutionären Effekt). Die Auslegungen argumentieren sauber und überzeugend, wie Ricardo Roques beeindruckende Dekonstruktion des osttimorischen Spitznamens arbiru für einen portugiesischen Kolonialleutnant in den 1890er Jahren, der nicht nur (ehr)furchteinflößende Kühnheit transportiert, sondern auch ungezügeltes, gewalttätiges Freidrehen. Doch bleiben sie innersprachlich und innersprach-wissenschaftlich (hier etwa etymologisch).


Doch davon mal ab. Jeder Beitrag steckt voller Einsichten, die (zumindest mir) den Horizont über das Verdammen mit Worten und den verbalen Tabugebrauch beträchtlich erweitern. Die Papers zeigen, dass Swearing-and-Cursing eine anthropologische Kontante ist oder sein könnte, die bislang nicht genau genug ausgeleuchtet wurde. Auch ein Eurozentrismus in der Forschung macht sich bemerkbar, der zu Recht angezählt wird von den Fluchforscher:innen zu papua-neuguineischen und tansanischen, zentral- und westafrikanischen, kenianischen und lateinamerikanischen oder – Achtung! – altägyptischen Modi des Verwünschens.
Stichwort Eurozentrismus. Die lingua franca der Wissenschaft, Englisch, schießt ein Eigentor mit ihrer Bedeutungsverengung und gleichzeitigen Doppeldeutigkeit: swearing steht in einem für ‚fluchen‘ und ‚schwören‘ (to swear an oath). Felix K. Ameka listet in „‘I sh.t in your mouth‘. Area invectives in the Lower Volta Basin (West Africa)“ die semantischen Nuancen und ‚multiple readings of swear‘ in einer Tabelle auf, zusammen mit den Entsprechungen im Deutschen, Niederländischen und Ewe (125): Es ist vielleicht die versteckteste Key Note, die jemals in einem Tagungsband untergebracht worden ist, jedenfalls für unseren zentraleuropäischen Horizont. Wenn sich das Englische und das Deutsche oder ‚Dutch‘ von der Bedeutung und den Sprechakt-Folgen von schwören/swear/zweren dermaßen unterscheiden, wie muss es dann aussehen im Rest der Welt, implodiert und migriert wie sie ist, mit ihren x Sprachen und Praktiken des Fluchens?


‚Isch schwör‘: Beteuerung und damit Segen für das selbst Gesagte? Oder – nach der Lektüre von Swearing and Cursing – doch eher eine Verwünschung? Fluch oder Segen? Der ‚Rest der Welt‘ fängt in der Nähe an.

Bruno Arich-Gerz

 

Swearing and Cursing. Contexts and Practices in a Critical Linguistic Perspective. Edited by Nico Nassenstein and Anne Storch. Berlin: de Gruyter Mouton 2021