23. Mai 2021

Unverbrauchte Geistesstärke



In letzter Zeit hat sich der Hanser Verlag für Verbreitung der Literatur von Gaito Gasdanow (1903–1971) eingesetzt. Nach seinen Romanen liegt mit Schwarze Schwäne eine erste Auswahl seiner Erzählungen vor. Übersetzt, herausgegeben und benachwortet von Rosemarie Tietze zeigen sie einige Facetten des geschickt-gewandten Stilisten, der sich vor allem durch seine Eigenwilligkeit auszeichnet, praktisch wie aus einem immerwährenden Schattenkabinett heraus zu beschreiben. Fast alle Figuren sind entweder ungreifbar, rätselhaft in ihrem Benehmen oder kurz vor dem Suizid, manchmal auch danach, dann im Rückblick erzählt. In ihnen scheint sich das Schicksal des Autors, exiliert in Paris und München, widerzuspiegeln. Die meisten laufen unbehaust durch die Straßen, treffen auf einer Bank nachts um drei auf Figuren mit starkem Rededrang. Oder sie fahren, wie Gasdanow selbst, Taxi, ziellos von A nach B. Wie von fern machen sie Bekanntschaft mit Hawaiigitarrenmusik, erfahren Krankheit, Armut und nicht selten die Heimsuchung einer drückenden Vergangenheit.
Gasdanow schreibt klar, unverstellt und doch im Wesentlichen absichtlich blass. Nichts tritt in den Vordergrund, höchstens wie ein Laternenlicht, dann und wann eine grelle Tat (z.B. das Zertreten (!) einer Katze auf dem Parkettboden), daraufhin wird es sogleich wieder neblig, finster grau wie eine eingeregnete Nacht vor geschlossenen Türen. Seine Prosa streift das Absurde, ohne es jedoch zu betreten. Gasdanow bleibt auch heute, fast hundert Jahre nach seinen ersten Erfolgen (nicht zu vergessen: Generation Nabokov), kaum einzuordnen, er hinterlässt einen sperrig-störrischen Eindruck.
„So stelle ich mir Hiob vor: Er sitzt in der Tiefe der Zeiten, schabt sich mit einer Scherbe die Schwären ab und seufzt ausgiebig. Die Kunst sollte doch naiv sein, oder?“

Jonis Hartmann


Gaito Gasdanow: Schwarze Schwäne, Hanser 2021

https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/schwarze-schwaene/978-3-446-26751-0/