2. September 2020

Gelassenheit

 

Eckhart, Heidegger, and the Imperative of Releasement

von Ian Alexander Moore

Rezension

 

Mit seinem Buch Eckhart, Heidegger and the Imperative of Releasement hat Ian Alexander Moore einen Versuch unternommen, der weit über eine Studie zu Eckharts Einfluss auf Heidegger hinausgeht. Es handelt sich eher um die philosophische Bemühung, die „Gelassenheit“ – oder, wie sich Moore ausdrückt, den „Imperativ der Gelassenheit“ – für die Philosophie überhaupt fruchtbar zu machen. „Gelassenheit“ wird somit zum Grundsatz eines Denkens, zum Mittelpunkt einer philosophischen Haltung, die das Sein für Heidegger, Gott für Eckhart und das „Menschsein“ für Moore erschließt.

Das Buch ist aber in erster Linie eine philologische Hochleistung, die das Spannungsfeld zwischen Eckhart und Heidegger (vom Einfluss zu reden wäre zu kurz gedacht) tiefgehend analysiert. So bewegt sich die Untersuchung auf zwei getrennten Linien und betrachtet das Denken der Gelassenheit von einem doppelten Standpunkt aus. Ohne der Versuchung nachzugeben, Eckharts Perspektive durch Heideggers Seinsdenken zu verzerren oder Heideggers Aufarbeitung durch die theologischen Voraussetzungen des deutschen Mystikers umzufälschen, gelingt es Moore, beiden Denkern treu zu bleiben und sie in ihrem eigenen geschichtsphilosophischen Kontext zu betrachten. Dadurch wird „Gelassenheit“ zum Ort einer wundervollen Begegnung zwischen zwei Denkern, die sieben Jahrhunderte voneinander trennten.

Im ersten Abschnitt legt Moore die Grundsteine seiner Untersuchung fest, indem er in neun kurz gefassten Paragrafen Eckharts Rolle in der denkerischen Entwicklung Heideggers, von den ersten Studienjahren bis zu den späteren unveröffentlichten Manuskripten, skizziert. Hierbei wird dem Leser sofort klar, dass keine einzige, wenn auch winzige Spur Eckharts unbeachtet lassen wurde. Ein zweiter Abschnitt, der das Herz der Abhandlung bildet, setzt sich mit der Mystik Eckharts auseinander und versucht die „Gelassenheit“ in einer Konstellation weiterer Begriffe zu erfassen. So findet die Vereinigung von Sein und Denken eine ausführliche Erörterung durch die getrennte Untersuchung der lateinischen und der deutschen Schriften Eckharts, während der Gedanke der „Abgeschiedenheit“, erst mal als negativer Konterpart der „Gelassenheit“ gedacht, sich zuletzt als ihr wahres Spiegelbild offenbart. Schließlich zeigt Moore im dritten Abschnitt nicht nur, wie tiefgreifend Eckharts Einfluss auf Heidegger war – und dies selbst in jenen Schriften, die Eckhart mit keinem Wort erwähnen –, sondern er zieht auch letzte Konsequenzen aus dem Denken der „Gelassenheit“. So gelangt er zur Auffassung eines „praktischen Apriori“, das die Gleichung zwischen Sein und Denken in der lebendigen Einheit der menschlichen Existenz vollbringt.

Drei wertvolle Beilagen ergänzen Moores Untersuchung: 1) Materialien zu Heideggers Arbeiten über Eckhart; 2) ein Text von Käte Oltmanns, die 1934 bei Heidegger über Eckhart promovierte; 3) ein Aufsatz vom japanischen Philosophen Nishitani Keiji, der 1937 bis 1939 Heideggers Seminare in Freiburg besuchte.

Alessandro Iorio

 

Ian Alexander Moore: Eckhart, Heidegger, and the Imperative of Releasement, Suny Press 2019