13. Mai 2017

Von der Sorberwenden Wesenheit und Herkommen

 

Manche Bücher (Texte) sind wie eine Projektionsfläche des Nerdtums ihrer Autoren. Es wird sich ausgelebt und es wird hineinprojiziert, was man allein nicht aushält und daher zu teilen wünscht. Im Resultat kann das entweder niemandem etwas sagen, nur anderen Nerds oder im schönsten Fall: Elektrisierung von jedermann. Bei Von der Sorberwenden Wesenheit und Herkommen, einem absichtlichen Fall vorgetäuschter Geschichts-/Anthropologiefiktion im Sinne eines Pynchon-haften Enzyklopädismus in der Belletristik (hier aber ohne Fabel) ist der Clou, dass der Wissenschaftsfake erbaulich funktioniert. Er verdient das Attribut: besser als die Wahrheit. Von Eduard Werner herausgegeben, im kleinen, aber ausgewählten Independent-Verlag Reinecke & Voß, kleidet sich der Text in das Gewand eines angeblichen Traktats aus dem frühen 18. Jahrhundert, genauer dem Fragment eines solchen, des Universalgelehrten Traugott Xaverius Unruh, der (fundiert begleitet von Vorwort, Nachwort, Handapparat etc.) den größten anzunehmenden Gelehrten-Trash über die Herkunft, die Wanderungen und vielerlei Sitten der Sorberwenden herbeifantasiert. 

 

Aus zwei Gründen ist das Buch – sehr kurz im Übrigen, kaum 60 Seiten – anders als andere dieser Sorte (es gibt sie ohne Ende, Thema je Nerd variabel). Erstens ist die Sprache subtil. So subtil, dass es eine Freude ist, der Intelligenz ihrer Verwendung zu horchen. Sie ist flüssig und besorgt. Verfällt nie in einen humoristischen Aspekt, sondern stellt seriös und buchstäblich verblüffende sprachliche Verwandtschaften, lautmalerischer Natur her zwischen dem Slawischen (Sorbischen), dem Kymrischen (Wales etc.), den indischen Sprachen und dem Japanischen. Und weil sich gewisse Wörter oder Silben dieser Sprachen entsprächen, also sagen wir ähnlich klingen, besteht die Behauptung darin, dass die Sorberwenden des Mitteldeutschen Raums in jedem Fall eine Zeit lang in Japan gehaust haben müssten, um sodann über Indien etc. in ihre jetzige Heimatregion vorgedrungen zu sein. Außerdem seien sie Pioniere der Luftfahrt (sic!) und vielerlei mehr gewesen. Das Ganze ist wundervoll zu verfolgen, verschafft nicht nur Plaisir, sondern verblüfft wie der Bericht einer geografischen Expedition ohne foliantendicken Umfang. 

 

Zweitens ist alles im richtigen Maße vorgetragen. Nichts ist zu ausgewalzt, zu nerdig oder zu uninteressant. Der Text hält eine kompositorische Waage aus dem Sagen-wollen-Müssen und dem gleichzeitigen Zugeständnis an die Leserschaft mit einem Ich-weiß-wann-es-euch-langweilt. Letzteres tut er zu keinem Zeitpunkt. Die Kapitel beschränken sich auf das Wesentliche. Das Beiwerk seinesgleichen. Das Fragment bricht ab und was bleibt, ist das Rätsel. 

 

Aus dem Text: "So finden wir im Japanesischen Jama Motta, Diwa, Jama Seta, Jama, Kus, die auch heute noch jedem Sorberwenden verständlich sind [...] Auch Kos ist hier zu nennen, denn so pronunciren die Sorberwenden gewöhnlich die Aehre, es mag sich auch von der Amsel herleiten, denn dieselbe ist in Japan sehr häufig anzutreffen. Kabocku ist vermuthlich ein abgelegener Ort (k Boku = zur Seite), Nana Oka (Nana Woka = des Vaters Auge cas. gen.) vielleicht ein Ort, den der Vater im Blicke hat, Kunokuni (Kunow Kuny martes martium) wohl eine Gegend, die von Mardern oder ähnlichem Getier geplagt ist oder war. Männer heißen dort Kamitzki oder Simotzki, welches doch wahrhafft sclavonisch klingt; auch der häufige Name Kobajaschi erscheint unserem sorberwendischen Namen Jacubasch recht ähnlich und der sorberwendische Name Hana (auch in Ableithungen wie Hanka, Haniza, Anka) ist nichts anderes als das japanesische Wort für Blume." ...

"Erst in den letzten Jahren ist es den französischen Brüdern de Montgolfier geglückt, auf waghalsige Weise sich in einer bunten Kugel aus farbiger Tapete in die Lüfte zu erheben. Wie die muthigen Männer erklären, wird die Kugel vom Rauche nach oben getrieben unterhalten von einem Feuer aus Wolle und Heu, daß es auch gar gut qualme. Dies heißt aber, daß allem, das fliegt, auch Rauch innewohnen müsse und mag uns neu und seltsam sein, ist aber den Sorberwenden seit langem bekannt. Denn die Hühner heißen bei ihnen Kura, was offensichtlich zum Worte für Rauch, sc. Kur, gehört, und das japanesische Wort für schwarz, kuroi, klingt auch zu ähnlich, um als Zufall abgethan zu werden, bezeichnet wohl also die Farbe des Rauchs. Da ein schwarzes Huhn aber ein recht ungewöhnliches Thier, kann man gewißlich annehmen, daß sie wegen des Rauches, der ihnen das Fliegen ermöglicht und ja für gewöhnlich schwarz ist, so genennet [...] Wenn aber den Sorberwenden bekannt war, daß dem Rauch die Kraft des Fliegens zu eigen, daß Rauch den Vögeln innewohnt, dann doch wohl, indem sie ähnliche Versuche wie die Gebrüder Montgolfier angestellt und sich in der rauchgetriebenen Luftfahrt versucht. Ja wir glauben sogar, zeigen zu können, daß sie wohl artige Flieger gewesen sind."

 

Bei Von der Sorberwenden Wesenheit und Herkommen handelt es sich um ein kleines verrücktes Buch, das, wem es in die Hände fällt, auf kleinem Raum einen großen fantastischen Kosmos anreißt, dem man gerne für gewisse Stunden anheimfallen möchte. Definitiv sollte ihm und seinem Verlag mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden.

 

Jonis Hartmann

 

Traugott Xaverius Unruh: Von der Sorberwenden Wesenheit und Herkommen 

Reinecke & Voß 2015. ISBN 978-3942901123

 

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