19. Februar 2017

Städtebeschimpfungen

 

Disparates im Skurrilitätenkabinett Thomas Bernhards

 

Bernhard-Lektüre bedeutet, sich mit Antinivellierungen, Gegensätzlichkeiten, Übertreibungen, verbalen Attacken und auch wortmelodischen Verstiegenheiten zu konfrontieren. In Österreichidyllen lebend schrieb er für Individualisten, Grenzgänger, Schaulustige und auch gegen Nazis: 

„Die schönsten Gegenden Österreichs

haben immer die meisten Nazis angezogen

Salzburg Gmunden Altaussee

das sind nichts als Nazinester“

Über die Medien wird derzeit ein dichotomes Bild Thomas Bernhards gezeigt. Einige wollen wissen, dass der Skandalautor und umstrittene Dramatiker, der von 1931 bis 1989 lebte, in seinen letzten Jahren mehr oder weniger einsam und gelegentlich schwächelnd in seinen Häusern residierte und arbeitete. Andere lassen sehen, dass er zynisch-sophisticated Kaffeehäuser frequentierte und in Interviews thronte. Er, der das Berechnende eines Gerichtssaalreporters hatte und kapriziöser Romancier war.

Wer sich mit Bernhard-Büchern abgab, mochte natürlich als Erstes seine spezielle Ironie und seinen unverkennbaren Schreibstil mit endlos langen Sätzen und skurrilem Wiederholungswahn. Artifizielle Sphären, die so kein anderer schuf. Und unverkennbar Thomas Bernhard, der mittlerweile einer der bedeutendsten Schriftsteller Österreichs genannt wird, ist auch das gerade veröffentlichte Buch „Sädtebeschimpfungen“. Einblick in Briefe, Kurzprosa, Diatriben, gewohnte Tiraden und Textfragmente aus früheren Buchveröffentlichungen vertraut. Klar ist alles immer mit einem Höchstgrad an Ironie befrachtet. Aber andererseits darf nicht übersehen werden, dass In Bernhards Wesen neben Intellektuellem Genuss und Kalkül nicht nur Verachtung, sondern zudem ein Stück Verzweiflung gewesen sein muss. Er wurde nur 58 Jahre alt.

„Städtebeschimpfungen“ vermittelt manch private und berufliche Nachricht bis hin zu kurzen Literaturfragmenten im Sinne des Bernhardschen Textextremismus. Hauptsächlich für Insider. Schön formuliert kleine Unzumutbarkeiten und altbekannt große Hasslieben. Über Wien steht geschrieben: „… Dieses Wien ist ja im wahrsten Sinne des Wortes eine Kunstmühle, tatsächlich ist es die größte Kunstmühle der Welt, in welcher jahraus, jahrein die Künste und die Künstler zermahlen und zermalmt werden, ganz gleich was für Künste, ganz gleich was für Künstler, die Wiener Kunstmühle zermalmt sie in jedem Falle immer total …“

Und was im Geist des Provokateurs Bernhard als aktueller Denkanstoß profan weitergegeben werden kann und vom Herausgeber Raimund Fellinger stammt im Nachwort: „… wenn die Welt ,insgesamt schon gänzlich Provinz‘ geworden ist, dann ist die Auflösung aller Gegensätze gegeben, erfüllt sich die negative Utopie: Menschen können nicht mehr als Geistesmenschen fortbestehen …“ Damit es zu keiner negativen Utopie kommt, ist auch die Bernhard-Lektüre gut. 

Die Grabtafel des Literaten Thomas Bernhard auf dem Grinzinger Friedhof soll vor einiger Zeit gestohlen worden sein und ein Zettel heftete dann am Grabstein. Sein Tod könnte nur ein Albtraum sein. Er könnte 86-jährig als Franz-Josef Murau aus Mallorca anreisen. Durch den Autor Alexander Schimmelbusch wurde verbreitete, dass Thomas Bernhard zwischen 1992 und 2000 in Spanien, Österreich und Amerika gesehen worden sein könnte. Alles keine efeuumrankten Idyllen, sondern Bücher wie „Städtebeschimpfungen“, Romane, Lyrikbände, Dramen, Mythen, Klandestinitäten, Legenden, Leser, Schauspieler, Zufallsbekanntschaften und Claus Peymann am 20.10.16 im SZ-Magazin-Interview: „… Dabei war Bernhard da schon tot. Aber der Bruder durfte es niemandem sagen. Eines jedoch sei klar: Wenn Bernhard wirklich eines Tages sterben sollte, bitte keine Fahnen auf Halbmast am Burgtheater, keine Trauerfeier, keine Reden, nichts.“ Und vielleicht ein Porträt wie ein Film-Still von John L. Russell für Hitchcock.

 

 

Tina Karolina Stauner

 

 

Thomas Bernhard: Städtebeschimpfungen, Suhrkamp 2016

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