8. Januar 2004

In China trinken sie auch Bier

 

 

„Im Zeitalter der Einsamkeit sind die Menschen fett“, behauptet der 210 Kilogramm schwere Ich-Erzähler einer der Geschichten aus „Das Leben ist jetzt: Neue Erzählungen aus China“. Dies trifft zwar nicht auf alle Figuren in dem von Frank Meinshausen herausgegebenen Buch zu, jedoch scheint das Leben im heutigen China auch ohne Übergewicht nicht besonders lustig zu sein. Die Menschen in den elf Erzählungen bewegen sich oft rastlos durch ihre städtische Umgebung, immer auf der Suche nach etwas so schwer Greifbarem wie Liebe oder Glück. Da ist zum Beispiel Lan, eine depressive junge Frau, deren destruktive Beziehung zu ihrem Freund in knappem Stil geschildert wird. Oder Duanli, die ein von Alkoholexzessen und Affären geprägtes Leben führt und von ihren Freunden eigentlich nur geduldet wird, weil sie über Geld verfügt. Kaum ist es mit der finanziellen Sorglosigkeit vorbei, „wurde sie für uns mehr oder weniger wertlos“.

 

Die in dem Erzählband versammelten Autorinnen und Autoren gehören zur so genannten „Neuen Generation“, für die die Kulturrevolution allenfalls noch eine verschwommene Kindheitserinnerung darstellt. Ihre Geschichten spiegeln die Veränderungen der chinesischen Gesellschaft wider und offenbaren damit Facetten des Alltags, die uns hier zu Lande trotz des spezifischen kulturellen Kontextes immer auch bekannt vorkommen. Obwohl die literarische Qualität der einzelnen Erzählungen stark variiert, sind sie allemal für denjenigen lesenswert, der etwas vom momentan herrschenden Lebensgefühl in Großstädten wie Peking oder Shanghai erfahren möchte. Dass dort auch ohne genetisch vorteilhafte Disposition Bier konsumiert wird, ist doch sehr beruhigend.

 

Katrin Zabel

 

 

Das Leben ist jetzt: Neue Erzählungen aus China, Hg. Frank Meinshausen, Suhrkamp Verlag 2003