Liebesgrüße aus London
Der Kalte Krieg wurde nicht nur mit Spionagesatelliten, atomarem Rüstungswettlauf und dem vielbeschworenen Gleichgewicht des Schreckens gekämpft; auch Autoren, Romane und Literatur gerieten in den Bann dieses globalen Konflikts und wurden zu Agenten und Kriegern eines kulturellen Systemkriegs zwischen Ost und West. Einer der prominentesten Spione dieses Cultural Cold War war George Orwell, der den Begriff des „Kalten Kriegs“ in seinem Essay „You and the Atomic Bomb“ (1945) selbst geprägt hatte und an dem er durch seine Nähe zu den Geheimdiensten auch selbst teilnahm. In ihm fallen kritische Beobachtung und aktive Teilhabe zusammen – gewissermaßen ganz Schriftsteller, beschrieb Orwell seine Gegenwart, wurde aber auch zu deren ehrgeizigem Gestalter und versorgte den Geheimdienst mit einer Liste von verdächtigten Schriftstellern mit vermeintlicher Nähe zum Kommunismus.
In „Honig“ erzählt Ian McEwan die Geschichte dieses literarischen Geheimkriegs nun als Liebesroman: Im Zentrum stehen die junge Serena, eine vom MI5 angeworbene Cambridge-Absolventin, sowie der junge in Brighton lebende Doktorand und Schriftsteller Tom. Serena soll den zu diesem Zeitpunkt noch nahezu unbekannten Autor und Essayisten für ein großzügiges Stipendium begeistern, dessen geheimdienstliche Provenienz über verschiedene Mittlerorganisationen verschleiert wurde. Kulturförderung als Ideologiekrieg. „Word Unpennend“ und „Freedom International“ lauten die klangvollen Namen, in deren Auftrag Serena das Geld mit vollen Händen an Tom verteilt, um seine freiheitsliebende, humanistische und entschieden antikommunistische Literatur zu unterstützen. Nur wissen darf er nicht, woher das Geld kommt – er soll sich frei fühlen, um die von ihm gefeierte Freiheit auch glaubhaft und mit voller Überzeugung in Romane verwandeln zu können, die dann zu den literarischen Waffen im Kalten Krieg der Kulturen geschmiedet werden sollen.
Doch es kommt, wie es kommen musste, und Serena und Tom verlieben sich ineinander. Sie besucht ihn von nun an bei jeder Gelegenheit in Brighton und lässt sich von Tom von dem Geld des Geheimdienstes zu Austern und Champagner einladen. Dabei lässt Serena London und die Welt der Spionage jedoch nur scheinbar hinter sich, ihr Blick bleibt ein beobachtender. Mitten in diesem Traum aus Liebe und Lauschangriff entdeckt sie plötzlich das fast vollendete Manuskript, das den Agenten in den Londoner Büros des MI5 so gar nicht gefallen wird: Es ist düster, nihilistisch und nicht die freiheitliche Kampfschrift gegen den Sowjetkommunismus, die so sehr gewünscht wurde. Hat sich Tom möglicherweise an der vom Geheimdienst so spendabel ermöglichten Dekadenz den Magen verdorben? Wurde seine zukunftsfrohe, studentische Leidenschaft für Freiheit im Nebel von Austern und Alkohol erstickt?
„Honig“ ist ein glänzend geschriebener Roman. Er ist allerdings weniger romantisch, sondern richtet vielmehr den Blick auf Facetten einer wenig bekannten historischen Realität des Kalten Kriegs: Unter dem Titel Congress for Cultural Freedom (CCF) finanzierte die CIA über Jahre hinweg europäische Kulturzeitschriften wie Der Monat, Encounter oder Preuves, um ein kulturelles Klima gegen den Kommunismus zu erzeugen und den Westen als geschlossenen und einheitlichen Raum einer gemeinsamen Wertegemeinschaft zu definieren. Hierbei wurden einige Schriftsteller massiv gefördert, deren Texte durch schnelle Übersetzungen zeitgleich in ganz Europa zirkulieren konnten, andere bis zur Bedeutungslosigkeit marginalisiert. McEwan streift diese Geschichte elegant, verbindet sie mit persönlichen Schicksalen, der Liebe zur Literatur in Zeiten ihrer politischen Indienstnahme und den Konflikten zwischen einer Cambridge-Elite-Studentin und dem aufstrebenden Underdog aus der gerade erst gegründeten University of Sussex (hier scheinen Tom und McEwan, der ebenfalls in Brighton studiert hat, miteinander die Plätze zu tauschen).
McEwans Roman erscheint zum richtigen Zeitpunkt. Heute, wo die großangelegte Datenspionage des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA selbst vor den Mobiltelefonen der Staatschefs keinen Halt mehr macht und überall auf der Welt Daten abgefischt, gespeichert und ausgewertet werden, scheint der Abhörkampf des Kalten Kriegs beängstigend aktuell. McEwans Roman erinnert uns jedoch auch daran, dass wir uns nicht nur fragen sollten, wer unsere Gespräche mitschreibt und mitliest, sondern auch, welche Texte wir lesen und wo deren geheimen Auftraggeber sitzen.
Patrick Kilian
Ian McEwan: Honig, aus dem Englischen von Werner Schmitz, Zürich: Diogenes 2013 (Orig.: Sweet Tooth, London: Jonathan Cape 2012).
Weiterführend:
Andrew N. Rubin: Archives of Authority. Empire, Culture, and the Cold War, Princeton: Princeton University Press 2012; Rezension: www.textem.de/index.php