31. Oktober 2011

Schützenfest

 

Diese Besprechung wird sicherlich zu spät kommen, um all die neu zu erwartenden Studenten der Neuen deutschen Literatur an der Humbold-Universität zu Berlin in die Veranstaltungen von Professor Erhard Schütz zu schicken, denn dieser, Jahrgang 1946, ist bedrohlich nah an der Schwelle der Emeritierung/Pensionierung. Vielleicht deshalb gibt es nun diese Publikation. Es sind mehr oder weniger lange „Kleine Schriften“, Feuilletons, Reportagen, Porträts, Buchsammelbesprechungen und vieles andere mehr.

 

Sehr erfreulich, dass das, was man den Ruch des Akademischen, also Jargon, Imponiergehabe durch Sondersprech, hier nicht findet. Hier und da wird der Leser durch manche Formulierung daran erinnert, dass es einmal einen Schriftsteller namens Adorno gegeben hat, der die deutsche Sprache ein bisschen durcheinander geschüttelt hat. Statt Jargon findet man hier: Luzidität, Spaß an der Sache, den Willen, klar zu sein und zu schrieben, die Gabe der idealen Komprimierung, die Fähigkeit und Kapazität, durch Vergleiche erkenntnisstiftend zu wirken.

 

Das ist nicht wenig, und auch wenn der Leser die Texte, die Schütz sich vornimmt, nicht kennen sollte, wird der Wunsch im Raum stehen, eine Lücke zu füllen oder nach Perlen zu tauchen. Von den über 500 „Kleinen Schriften“, die zunächst in Publikationsorganen wie Freitag, taz, Das Magazin, oder Der Tagesspiegel erschienen sind, finden sich etwa ein Fünftel in diesem Band. Sie sind von den Herausgebern thematisch gegliedert und innerhalb dieser Blöcke chronologisch geordnet. Interesse bekundet Schütz für „Gegenwartsliteratur“, „Die guten Amerikaner“ (Richard Ford, Stewart O’Nan), „Klassiker“ (Simenon, Jünger), für Leute seines eigenen Fachs (Feuilletonisten), „Berlin“, das „Dritte Reich“ und den „Bombenkrieg“ (Sebald und die Folgen) sowie das schöne Thema „Wald, Technik, Medienkultur“. Endlich wissen wir, wie wir als aufgeklärte und doch verunsicherte Menschen zum Beispiel auf die Frage zu antworten haben: „Was war nun gut im Dritten Reich“, wo doch schon in Afghanistan angeblich „alles falsch“ gewesen ist. Wir erfahren, dass es vor Heinz Schlaffers „Kurzen Geschichte der deutschen Literatur“, die im Moment ihres Erscheinens (2003) als zu kurz kritisiert wurde, noch kürzere im Angebot gab, und das auch noch gereimt (Friedrich Gundolfs „Die deutsche Literärgeschicht“, die mit 60 Seiten sogar noch knapper ausfällt als Klabunds „Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde“). Ganz entspannt werden Fragen gestellt wie: „Welcher Opportunismus ist größer, als Jüngling einer diktatorischen Partei beigetreten zu sein oder als reifer Forscher den Verlockungen des Medienspektakels nicht widerstehen zu können?“

 

Erhard Schütz ist das, was man einen nicht „eingebetteten“ Forscher und Kritiker nennen könnte, wir haben es hier mit einem äußerst lebendigen Autor zu tun, der nicht erst sterben musste, um anders gewandet wieder aufzuerstehen.

 

Dieter Wenk (10-11)

 

Erhard Schütz, Echte falsche Pracht. Kleine Schriften zur Literatur, hrsg. von Jörg Döring u. David Oels, Berlin 2011 (Verbrecher Verlag)

 

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