5. Dezember 2003

Anfangsschwierigkeiten der Sub-Konversation

 

Neben den „prächtigen, einst vergoldeten Lettern”, die den Namen des Schiffs, San Dominick, bilden, liest man einen Spruch, „wie in einer Matrosenlaune aufgemalt oder mit Kreide hingeschmiert“, der lautet: ,Seguid vuestro jefe’ (Folgt eurem Führer). Schon zu Beginn der Erzählung, im Moment, wo der amerikanische Kapitän Amaso Delano das fremde, in die Bucht einfahren wollende Schiff besteigt und dessen Kapitän, Don Benito Cereno, begrüßt, ist klar, dass man sich erst einmal auf die Suche begeben muss, um zu erfahren, um welchen Führer es sich überhaupt handelt. Denn seltsam ist, was ihm, Delano, auf Deck der San Dominick zunächst begegnet. Die Dinge und Vorgänge scheinen ebenso gespenstisch wie improvisiert, entbehren einer klaren Logik, die auf eindeutige Entscheidungen, also die eines Kapitäns, zurückzuführen wären. Delano hat es von Anfang an auf dem fremden Schiff nicht mit einer Person, sondern mit zweien zu tun, der Diener Babo begleitet alle Wege seines Kapitäns, also Cerenos. Babo ist ein Neger, das Schiff selbst ein Transportschiff mit Sklavenfracht, aber seltsamerweise laufen bis auf einen alle Neger frei herum, einige sind beschäftigt, Äxte zu schärfen. Das Schiff ist abgewrackt, Cereno berichtet, nicht ganz kohärent, von Stürmen um Kap Hoorn, von Flauten, von fehlendem Wasser, von Skorbut, der die meisten der weißen Offiziere hinweggerafft habe, und vor allem gibt die Art und Weise seiner Darstellung sehr viel über ihn selbst zu verstehen, auch wenn Delano zunächst nicht weiß, was er damit anfangen soll: ein Irrer oder ein unglaublich ungehobelter Mensch? Oder ist Delano zukünftiges Opfer einer sich vorbereitenden Verschwörung? Warum greift Cereno nicht ein, als weiße Matrosen von Negern attackiert werden? Warum gibt es überhaupt immer nur diese Kurzsitzungen, als ob Cereno zu schnell den Faden verlieren könnte, um vielleicht einen anderen zu verfolgen? Wer ist überhaupt der Führer des Schiffes?

Delano ist wider besseres Wissen so taktvoll, nicht in die Tiefe zu gehen oder zu fragen, wer diesen Schriftzug auf die Planken gepinselt hat oder was sich unter der Plane verbirgt und die Galionsfigur freigeben müsste, wenn man sie wegzöge. Delano würde das nicht überlebt haben, wenn seine Gutmütigkeit und Arglosigkeit ihn verlassen hätten. Er schiebt die Fragen auf, verdrängt die immer wieder sich einstellenden Skrupel und verlässt das Schiff, um verschiedene Hilfsaktionen für das gestrandete Frachtschiff vorzubereiten. Doch kaum ist Delano in seinem Walboot, als auch schon Cereno neben ihm landet, der ihm nachspringt, weil niemand anderer als Delano sein Führer noch sein kann. Nachträglich wird nachgeholt, was Cereno seinem Gast nicht hat sagen können, dass es nämlich zu einer Meuterei gekommen und die Galionsfigur nunmehr ein Skelett sei, ein präparierter Weißer, der Besitzer der Schwarzen, den die Neger neben anderen ermordet hatten.

Der Spruch bekommt jetzt eine ganz eigene Note, aber das Verdammungsurteil, das sich in ihm liest, wird an keiner Stelle der Erzählung explizit oder implizit als Botschaft der Erzählung als Ganzer plausibel gemacht, weil diese Erzählung keine Frühform politischer Korrektheit ist. Vielmehr teilt der Erzähler und wohl auch Melville die Hierarchie der Rassen mit ihren verschiedenen Schwerpunkten. Und diese Ordnung ist ungesagt und ungeschrieben, sie wird immer nur wiederholt in den Erfahrungen, die diese Ordnung bestätigt. Deshalb muss auf der San Dominick auch nicht in prächtigen Lettern stehen: Folgt eurem Führer, weil sich das nach der alten Ordnung von selbst versteht. Der neue Schriftzug kündet dagegen etwas Neues an, eine Umkehr, etwas wurde auf den Kopf gestellt, und das hat der gute Delano tatsächlich zunächst nicht entziffern können, da es ihm wie der Wahnsinn selbst erschien. Cereno, der das alles erfuhr, geht ins Kloster, auf einer Bahre getragen, nun „wahrhaft seinem Führer“ folgend. Schönes Beispiel von Einbettung. Wo es egal ist, ob der Führer ein Esel, ein Mönch oder Christus ist, denn das läuft alles auf eins hinaus. Aber nur noch hier, im Abschied von der Welt, die anders weitergeht, lässt sich sagen, was Sache ist.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Herman Melville, Benito Cereno</typohead>