4. Oktober 2010

Ein Essay zur bewussten Umnachtung

Black Metal-Theorie

 

Ein Urschrei

 

Was macht den Black Metal zur extremsten Verständigungsform in der Stilvielfalt des Metals?

Seine Kompromisslosigkeit im klanglichen Ausdruck: Die Gitarren sind hochgestimmt, nähern sich in wahnsinnig schnellen Geschwindigkeitssalven purem Lärm, die Stimme ist kaum als solche wahrnehmbar, sondern lässt sich in hohen Kreischern vernehmen, Raben scheinen durch die Aufnahme geflogen zu sein, das Studio scheint in der Natur gestanden zu haben.

 

Black Metal kommt wie jede andere Musik in die Jahre. Seine Urheber verändern sich, Konstellationen der Freundschaft und Macht ändern sich, vor allem stellt sich die Unterhaltungsindustrie auf jedes neue Biest ein - und zähmt es schließlich. Nähert sich akademisierte Theorie einer Subkultur, reagiert diese leicht pikiert auf Versuche, eine lebendige Bewegung für eine intellektuelle Selbstbefriedigung einzunehmen. Man kennt das aus Zeitschriften, die sich gerne in einen Pop-Diskurs einklinken und die schnell aus einer Platte des Monats das seismische Symptom einer gesellschaftspolitischen oder ästhetischen Wende generieren.

Musiker aus diesem Subgenre des Heavy Metals beharren häufig in Interviews und auf biographischen Infozetteln, dass es beim Black Metal um eine Haltung zur Welt geht, die sich jedoch vor-bewusst artikuliert und ohne zwischengeschaltete Reflexion in die Musik fließt. Das muss respektiert, mehr noch: reflektiert werden!

 

Eine kritische Beschäftigung mit Musik sympathisiert mit den Schöpfern, doch behält sich ein Veto vor. Das Recht auf eigene Meinung, die sich allein dadurch ergibt, dass Höhen und Tiefen bei jedem Phänomen auszumachen sind. Gerade aus diesem Grund ist es unersetzlich, die deskriptive Sprache zu schärfen. Auf welche Weise?

Indem man den Tönen, mehr noch den Zwischentönen in dieser speziellen Szene sein Gehör schenkt. Dies wird durch einen geschärften Geist ermöglicht, den man aus der akademischen Theorie mitbringt. So könnte eine erste vorsichtige Annäherung zwischen Black Metal und Theorie funktionieren.

Zu welchem Zweck jedoch?

 

Die Katastrophen einer Pubertät

 

Musik, unabhängig vom Stil, besitzt keine Bedeutung an sich. Sie wird durch verschiedene Kontexte an die einzelnen Artefakte und Geschehnisse in einer bestimmten Szene herangetragen. Pauschalisierungen sind auch bei Subkulturen zu vermeiden, die enge Vorschriften ihren Partizipanten auferlegen. Andererseits bieten sie einen unkommerziellen Startpunkt kreativer Karrieren. Im Metal existiert wie in jeder anderen sozialen Gruppierung ein sogenannter 'guter Ton'. Zum guten Ton im Black Metal wird im Laufe dieses Essays genug geschrieben.

Mitte der Achtziger nahm der Black Metal mit Bands wie Venom und Bathory vorsichtige erste Schritte, Ende der Achtziger traten dann Bands auf die Bühne, die den heutigen Black Metal-Sound nach wie vor prägen: Darkthrone, Mayhem, Satyricon, Emperor und noch andere. Anfang der Neunziger explodiert insbesondere die norwegische Szene in einer Welle von Verbrechen. Das gegenseitige Auftrumpfen in der Provokation nimmt überhand. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet. Die Provokation in Text und Musik ist jedoch geblieben. Das bringt dem Black Metal von Outsidern oft den Vorwurf der Pubertät ein. Möglicherweise geschahen die Morde und Brandschatzungen an Kirchen in Skandinavien gerade aus einer verletzten Eitelkeit. Die Musiker wurden jedoch älter und es traten in der Zwischenzeit auch Gruppen auf, die einen anderen Weg verfolgen.

 

Die Zeit der Reife

 

Xasthur, Sunn O))) und Wolves In The Throne Room verlassen die noch menschlich rückgekoppelte Welt und gehen je nach Ausrichtung ihres philosophischen Konzepts in eine entmaterialisierte Welt des Nichts oder eine transzendentalistisch überhöhte Natur. Gerade jene Gruppen faszinieren in einem Zwischenfeld von Essay und Philosophie die Autoren des Sammelwerks Hideous Gnosis. Ganz im Gegensatz zum Show-Black Metal, der stärkere Anleihen im Glamrock und der Gothic-Kultur nimmt, setzen einige Musiker dieses Subgenres auf eine asketische, häufig nihilistische, manchmal sogar anti-kosmische Haltung. Musikalisch setzen sie entsprechende Signale, die als Zeichen einer Emanzipation vom common sense eines guten schönen und wahren  Lebens verstanden werden können.

Eine unübersehbare Show fahren sowohl Dimmu Borgir aus Norwegen als auch Cradle Of Filth aus dem UK auf; sie kleiden sich in einer gothic-affinen, d.h. vor allem weiblichen Fans ansprechenden Manier, verwenden bombastische Keyboards und vor allem Cradle Of Filth bedienen sich aus einem Repertoire der schwarzen Romantik und des Gothic-Kitsches. Diese Bands werden von einer künstlerischen und politischen Avantgarde nicht als repräsentativ für Black Metal angesehen. Vielleicht spielt das politisch gefährliche Spiel mit Faschismen und Totalitarismen eine wesentliche Rolle in der Bevorzugung einer besonderen musikalischen Ausprägung des Black Metals. Ein erstes Buch spricht hier zwar noch keine Bände, aber immerhin 281 Seiten füllen sich mit philosophischer Spekulation im besten Sinne. Jeder der Beiträge betrachtet diese Musik nicht als fernes Objekt, sondern als subjektiv erlebte Erfahrung, von der nun abstrahiert werden muss, mit dem Ziel einer Erkennntnis.

Der Inkohärenz der ideologischen Aussagen im Black Metal wird durch eine konsistent inkohärente Linie im Buch entsprochen. Was bedeutet das? Häufig werden die Autoren auf einer Welle der Begeisterung über ihre eigentliche Aufgabe hinausgetragen: die Zeichen eines kulturellen Phänomens zu registrieren und zu verstehen suchen. Black Metal dient zur Elaboration einer wie auch immer argumentativ geerdeten Theorie. Die Verlockung, idealistische Philosophen wie Schelling und Hegel als Ausgangsbasis zu wahlen, und dann über Nietzsche, Schopenhauer und Kierkegaard schließlich bei Walter Benjamin, Deleuze, Guattari und Lacan zu landen, war und ist zu groß. Zuweilen überschneiden sich Lyrics und Interviewaussagen mit den Positionen der genannten Denker. Dies ist weniger eine Leistung des Black Metals, als eine Folge von Enttäuschungen des narzisstisch verliebten Ichs in einer zunehmend technologisch und konsumerisch gewordenen Welt. Black Metal könnte und kann sich genauso gut mit irrationalen Inhalten eines dämonologischen oder den hermetischen Figuren eines okkult-esoterischen Weltbilds beschäftigen, ohne damit an seiner eigentlichen Aussagekraft zu verlieren: das Unbehagen einer Moderne zu artikulieren, in einer möglichst vehementen Form. Das verbindet Black Metal in seinem musikalischen Ausdruck, unabhängig vom Innovationspotential des individuellen Tonträgers, mit den Positionen einer klassischen Avantgarde. Diese Sätze stoßen bei entsprechendem Publikum auf Resonanz, wiederholen sie doch bereits hinlänglich bekannte Gemeinplätze intellektueller amerikanisch-europäischer Auseinandersetzungen.

 

Dieses Subgenre entstand und lebt nach wie vor von einer Szene, die letztlich Metal bleibt und dessen Habitus und Gestus pflegt. Daher rührt die Ignoranz der Musiker, sich diesen Denkmodellen zu öffnen. Es darf nicht vergessen werden, dass Black Metal letztlich auf Musiker angewiesen ist, die ihn spielen. In einer Tiefe zu bohren, kann verschiedene Beschreibungen hervorbringen. Es leuchtet ein, dass sich die Erkenntnisse eines Black Metal-Musikers von einem Philosophen unterscheiden, können - aber nicht müssen. Es ist keine unabdingbare Existenzform, keine ontologische oder sogar kosmologische Notwendigkeit. Gerade die Interviewaussagen, die Beteuerungen, die Beschwörungen, die Treueschwüre der Musiker beweisen, wie funktional-ästhetisch diese Musiksparte wie andere auch zu verstehen ist. Das Bekenntnis zum Anti-gegen-alles-Sein oder zum Nicht-Dasein trotz der medialen Stimme, die man erhebt, gehört zum wesentlichen Imperativ einer Black Metal-Kultur. (Dies ist auch eine wesentliche Erkenntnis meiner Lektüre von Hideous Gnosis).

Um nicht in dieses Erkenntnisinteresse gezogen zu werden, bietet sich eine kritische Distanz zu diesem Imperativ an. Der Unmut soll also gehört werden, möglichst vehement und laut. Die dionysische und chaotische Seite des Heavy Metals, wie sie Deena Weinstein in ihrer soziologischen Studie analysiert, kommt in den Sinn. Jeder 'gute' Black Metaller bekennt sich in seinen Texten zur Misanthropie und findet sich in der Gruppe wieder, die diesen gesunden Hass teilt und Wunder möchte es, dass sich darunter auch durchaus attraktive junge intelligente Frauen befinden. Black Metal verliert schneller als seine Aktivisten denken seine Begründung nur in sich selbst - schnell sammeln seine Kultisten symbolisches Kapital und finden sich in einer Anerkennungsschleife. Die Puristen unter seinen Anhängern zeigen eindeutig Parallelen zum Katholizismus und sondern die Unreinen, die die Tugenden des Black Metals verraten, aus ihrem Kreis der Erwählten aus. Ein zweiter Imperativ: trotz des Bekenntnisses zum Nicht-Dasein muss der Kreis der Nicht-Anwesenden abgeschlossen und auf sich selbst fokussiert sein. Das führt zu ideologischen Schattenspielen: Gaahl, einst bei Gorgoroth zur Berüchtigtkeit als Sänger aufgestiegen, preist Satan in einer arroganten Mimik und Gestik als seine hauptsächliche Einflussquelle. Später outet er sich als einer der ersten Black Metal-Musiker als Homosexueller. Zweimal positioniert sich Gaahl im Abseits gemeingesellschaftlicher Vorstellungen.

Eine philosophische Erkundung des Black Metal-Terrains zeitigt zweifelsohne interessante Einblicke. In Hideous Gnosis vermisst man die funktionale Analyse der schwarzmetallischen Strategien der Legitimation und Authentizität. Dies mag in der ästhetischen Wahrnehmung einer subkulturellen und ästhetizistischen Szene zu politisch wirken, doch wird man nicht mit Black Metal im Blut geboren, sondern eignet sich eine Haltung an, einen Umgang mit diesem Phänomen, lernt sich in rituelle und habituelle Gepflogenheiten ein, um in dieser Szene auf Akzeptanz zu stossen.

In der Szene werden Mythen generiert, die eine Archaik begründen sollen, eine Welt jenseits des Alltags, in der heidnische Krieger und Satanisten allein ihre Heimat finden. Eine unwirtliche Gegend am Nordpolarkreis, die jede menschliche Regung einfriert. Die Norweger Immortal singen über ihr mythisches Reich Blashyrkh. Melodien hört man unter den surrenden Gitarren, doch nie gänzlich befreit. Eine metaphorische Kälte bleibt bestehen, dadurch dass sich die Musik im hochfrequenten Bereich bewegt, beinahe an der Schmerzgrenze, vor allem auch der Gesang, der kreischt. Es könnten Wölfe oder Raben am Werk sein, die in der Natur bei ihrem gemeinschaftlichen Gesang aufgenommen wurden. Oder der eine Wolf, der endzeitlich das Verderben in sich trägt. Die Denkfigur des Endes durchzieht diese Musik - die Theoretiker greifen dieses Thema dankbar auf und entwickeln Spekulationen, die mit und gegen den Black Metal existieren.

 

Black Metal-Theorie - welche Art der Erkenntnis verschafft sie, welches Wissen akkumuliert sie?

In zwei Zugänge spaltet sich der Weg zur Black Metal-Theorie: erstens geht der Interessierte davon aus, dass sie aus dem Untersuchungsgegenstand ableitbar ist oder zweitens kommt es dem Interessierten vor, als ob es sich um eine Zwangsbeziehung der beiden handelt. Die erste Alternative wirft selbstverständlich ein besseres Licht auf das Verhältnis. Doch der zweite Weg kann auch seine eigenen Reize entwickeln. Wenn sich der Black Metal als störrisches Biest zeigt, so kann ihm die Peitsche sicher einiges an Manier beibringen, ohne die er ein lächerliches Produkt ewig pubertierender Männer und Mädchen bliebe. Der Anteil der hörenden Mädchen bei dieser Musik nahm exorbitant zu, was verschiedene Gründe haben wird. Einer wird vielleicht die Mystik sein, die dieser Musik anhaftet. Das Selbstverständnis als starke Individualisten, die ihren Weg gehen, führt bei entsprechender Veranlagung zu einer Herausforderung der szenischen Strukturen selbst. Die Selbstbewusstwerdung als eine Avantgarde-Bewegung des Heavy Metals - Keith Kahn-Harris geht ausführlich auf diesen Aspekt in seinem Buch zur Transgression im Extreme Metal ein - kann sich nicht in der Befolgung aufgestellter Regeln gefallen. Der Tabubruch gehört zum Black Metal dazu. Dennoch verständigen sich die Anhänger dieses Kults auf gemeinsame Riten und Inhalte. Thacker beschreibt drei Definitionen des Adjektivs "black" in der Genrebezeichnung Black Metal: zum ersten der Bezug auf Satanismus und schwarze Magie, zum zweiten der Bezug zum Heidentum und zum dritten der Bezug zum kosmischen Pessimismus, wie er ihn nennt, das Aufgehen in einer nonpersonalen Dimension. Hinzu kommt, dass sich sowohl die Musiker wie auch die Kultisten zu einem Kodex bekennen müssen, Black Metal quasi-religiöse Komponenten annimmt.

 

Die bewusste Umnachtung oder: Man schaffe einen Kult um sich

 

Ideologiefreiheit im Black Metal zu erreichen, ist nicht einfach, da die Wurzeln seiner Weltsicht in einer bewussten Abkehr von zeitgenössischer Mundanität und Liberalität zu lokalisieren sind. Zu Beginn der Neunziger explodierte die satanistische und vor allem heidnische Mentalität des Black Metals in Skandinavien. Das Buch Lords of Chaos berichtet ausführlich dazu. Es scheint, dass seit dieser Offenbarung in der Öffentlichkeit der dritte Zweig nach Williams Oberwasser gewonnen hat. Zumindest im Feuilleton, das sich außerhalb der üblichen Szenestrukturen befindet. In einschlägigen Fanzines konzentriert sich ein Meta-Diskurs meist nur in einer positivistischen Aufreihung verschiedener Motive und Themen, die sich in den Texten und Konzepten der einzelnen Bands niederschlagen. So findet man Hintergrundartikel zur antiken und mittelalterlichen Geschichte, Okkultismus, modernen Satanismus, einigen wenigen Philosophen oder auch Genre-Literatur des Horrors, Fantasy und Science-Fiction. Black Metal-Theorie findet man nicht. Die Musik selbst ist integraler Bestandteil eines Lebensstils, der sich aus verschiedenen Accessoires zusammensetzt, also vor allem eine Sache des Inhalts ist. Eben Metal: aus Spaß an der sozialen Komponente. Ja, auch Black Metal, der sich gerne antisozial gibt, führt im Event-Charakter seiner Szene zu einer Geselligkeit. Dies ist bei den Bands bekannt und beeinflusst unter anderem ihre Strategien der Legitimation. Es wird von der "horde" gesprochen, dem "cult", dem "inner circle" - einer besonderen Gesellungsform in einer säkularisierten Welt.

Black Metal-Theorie zielt in eine andere Richtung. Die gehörte Musik dient nicht zur peer group-Orientierung, sondern nimmt Bezug auf hochreflexive Auseinandersetzungen mit dem Nichts.

 

"This is what we are looking for: Black Metal fucks up academic discourse SHOCK! Now that would be a headline." (Scott Wilson: Pop Journalism and the Passion for Ignorance, S. 247-250, hier: 250)

Auf dem ersten Black Metal Theory Symposium findet sich viel Philosophie, nicht wenig Mythologie und noch ein Schuss Psychoanalyse, um sich dem popkulturellen Phänomen zu nähern. Die Reaktionen im Vorfeld zum Kongress in New York City ähneln dem Unverständnis, das zum Beispiel auf dem Forum des Rock Hard-Magazins bezüglich des Kongresses metal matters im Juni in Braunschweig entgegengebracht wurde. Man solle gefälligst den Metal in seiner Schönheit be- und das akademische Werkzeug zu Hause lassen. Das, so ist den enttäuschten Hardlinern leider mitzuteilen, funktioniert in einer Zeit, in der sich der Black Metal frech an die Öffentlichkeit gedrängt hat, nicht mehr. Seit den Morden und Kirchenbrandstiftungen in Norwegen und Schweden hat der Black Metal seine subkulturelle Unschuld verloren. Wenn wir schon bei der Theorie sind, so könnte Immanuel Kant angeführt werden, dass sich jede Bewegung, die sich ernsthaft an einem Diskurs beteiligen möchte, einer uneingeschränkten Kritik ihrer Voraussetzungen stellen muss. Möglicherweise haben die Black Metal-Kultisten davor Angst, denn ihre Quasi-Religion wäre all ihrer Mysterien entkleidet und stünde nackt da. Warum sollte Black Metal zu einer wie auch immer gearteten Theorie führen?

 

Die akustische Ausgestaltung dieses Metal-Subgenres lädt zu einer Abstraktion ein. Zuweilen übt sich die Gitarre in bewusster Reduktion auf ein repetitives Muster. Statt songdienliche Kompositionen abzuliefern, werden Möglichkeiten des musikalisch-extremen Ausdrucks exploriert. Black Metal unterhält enge Verbindungen zu Weltanschauungen, spricht sich gegen den Konsens, gegen die Gemeinschaft aus. Mit dieser Musik betreibt man keine Sozialpolitik, eine Nähe zum Satanismus postmoderner Prägung im Gusto LaVeys ist bei vielen Äußerungen der Kultisten auszumachen. In norwegischen Kreisen war der Ansatz Anton Szandor LaVeys nicht besonders gut gelitten, denn das Ausleben des eigenen Willens und ein bewusster Hedonismus widerspricht der Zerstörung jeder Geselligkeit. Da nun die norwegischen Protagonisten längst zu verehrten Pionieren der 2. Welle des Black Metals geworden sind, wird man eine bewusste Ablehnung menschlicher Anerkennung den Musikern kaum abnehmen können. Wer wirklich jeden Lustgewinn auf den Tod nicht ausstehen kann, wird sich nicht wie Narziß und Goldmund von einer Fotokamera für Promozwecke ablichten lassen. Er wird stattdessen im Wald leben und Holz hacken. 

Zudem betreibt man auch mit LaVey-Satanismus keine Sozialpolitik, weil die Unterscheidung zwischen Starken und Schwachen in der Satanic Bible zu fest eingeschrieben ist. LaVey'scher Satanismus ist in die eigene Position des Willensstarken verliebt, und möchte keinen Zentimeter davon abweichen. Sicher mag der LaVey-Satanist gerne kuscheln, wenn es seiner Lust dient, doch einer Autorität ordnet er sich ebenso wenig unter wie der Black Metal-Musiker, der gerne alles außer sich selbst zerstören möchte. Unter der Maske der Todessehnsucht verbirgt sich eine verborgene Liebe zum Selbst. Gerade indem auf die Todesfälle beschwörend hingewiesen wird, vertuschen die Musiker eine allzu offensichtliche Geste: den Hang, zu schaffen. Dies geht, soweit dies uns die biologischen Erkenntnisse unter Ausschluß der Metaphysik erlauben, festzustellen, nur solange der Black Metaller am Leben bleibt.

Das Gerede um Mord und Totschlag ist eine Sprechblase, die zerplatzt, sobald der Black Metal-Musiker den Hörer zum Interview abnimmt und auf Fragen antwortet. Wer einen Genozid plant, baut Lager und keine Blockhütten auf dem Berg. Hinter den Auswüchsen totalitärer Ideologie verschwindet auch ein Euronymous oder Count Grishnackh.

Gerüchte werden gestreut, intensiviert, verstärkt, bis sie ein Eigenleben entwickeln ... mit dem Ziel, das eigene Image zu pflegen. Andererseits könnte es auch sein, daß die Journalisten bislang die falschen Fragen gestellt haben. Zum Beispiel: Ist Black Metal Kunst oder Natur? Kommt es auf das Spielen der Instrumente oder auf das Durchreichen von äußeren Einflüssen an? Wie steht es um rein instrumentellen Black Metal? Kann dieser ebenso schwarz, okkult und satanisch sein? 

Es scheint beinahe, daß die Musik des Black Metals philosophischer als all die Aussagen ihrer Urheber klingt. Die Urheber verschwinden hinter dem Material - ein Traum der bewussten Umnachtung. 


Es stellt sich die Frage, was von dem Image inszeniert wird und was "authentischer" Lebensführung entspricht. Einen Menschentypus diesem Subgenre zuzuteilen, wäre sicher zuviel des Guten. Thacker entwirft eine Dämonologie des Black Metals: "Denying the anthropological view means considering the world as not simply the world-for-us (the limit of human). Likewise denying the ontological view means considering the unreliability of the principle of sufficient reason (the insufficiency of being). A philosophical demonology would therefore have to be "against" the human being - both the "human" part as well as the "being" part." (S. 218) Konsequent übt sich der Black Metal in der konstanten Negation der Ordnung, was zu einer weiteren Paradoxie seiner Existenz führt: zum performativen Widerspruch. Indem er sich artikuliert, möchte er sich auflösen. So können auch politisch bedenkliche Aussagen mancher Protagonisten dieses Genres als Ausdruck einer provokativen Geste verstanden werden. Unter dem eindeutigen Zeichen lauert jedoch eine Ambivalenz, die tabuisierte Felder abgrast: Nationalsozialismus, Antisemitismus, Rassismus,  Misanthropie. Sexualität wird ausgespart, zum großen Teil zumindest. Black Metal verstand sich einst - in seiner Orthodoxie - als gegen Leben und Ordnung gerichtet. Da passt ein hedonistisches Element, das viele Musikstile durchzieht, nicht richtig. Unwirtliche Gegenden rücken in den Fokus der Lyrics. Emotionen des Hasses verunsichern die Laien, die sich rein klanglich dem Black Metal nähern, doch bei der Lektüre der zugehörigen Lyrics erschrecken und sich wieder von diesem Biest zurückziehen. Black Metal könnte als kompromisslose Kunstform verstanden werden. Dazu fehlt dem Biest jedoch die völlige Autarkie.

 

"the first rule of black metal is that YOU DO NOT FUCKING TALK ABOUT BLACK METAL." (zitiert in: Masciandaro, S. 67-92, hier: S. 83) So lautet ein Forumseintrag, der auf das 1. Black Metal Theory-Symposium reagiert.

Der Umstand, dass sich ein selbsternannter Zirkel, der selbstverständlich selbst mit der Ausübung der Musik beschäftigt ist, das Recht zuspricht, entscheiden zu können, was Black Metal ist und was nicht, nimmt dieser Musikrichtung ihre Radikalität. Auch im Black Metal findet ein Diskurs statt. Vor allem geht es um die Grenzen der Musik und Ideologie, die diese begleitet. Wer sich zu dieser Musik bekennt, fühlt eine besondere mystische Zugehörigkeit, d.h. eine Identifikation mit einem distinguierten Musikstil, die über die übliche jugendsubkulturelle peer group-Orientierung hinausweist.

Die Akademiker, die sich in Hideous Gnosis dem Black Metal philosophisch nähern, werden auch von diesem Alleinstellungsmerkmal beflügelt. Dem Glauben, Black Metal existiere nur für sich selbst, muss eine klare Absage erteilt werden. Dies wäre bei einem Musiker in der Einsamkeit der Wälder und Berge verständlich, der seine schwarzmetallischen Ergüsse nur für den Eigengebrauch komponiert und aufnimmt. Sobald er sich in die Welt hinauswagt, zerfällt sein Ideal der Selbstgenügsamkeit. Im Black Metal-Diskurs beeindruckt eine Band eben doch durch ihre besonders kompromisslose Umsetzung des Genrekodex. Sie wird verehrt und ein soziales Gefüge entsteht.

Dieser Argumentation mag ein Kultist entgegenhalten, dass eine Gruppe von Nihilisten eben doch misanthropischer als eine Gruppe von Soul-Liebhabern sei. Sobald man jedoch einen Gegenstand zur Leidenschaft, zum Kultobjekt erhebt, ist Liebe im Spiel und eben keine Anti-Haltung. Ein Leben im Extrem ist philosophisch undenkbar, da es nicht bis zur letzten Konsequenz und Stichhaltigkeit geschehen kann. Auch Black Metaller müssen Kompromisse eingehen, um leben zu können.

Die alleinige Möglichkeit, im Extrem zu leben, ist, so meine These, sich bewusst zu umnachten, d.h. durch Drogen, Alkohol oder auf der anderen Seite durch asketische Trance dem Bewusstsein zu entgleiten. In der norwegischen Szene findet man manche Musiker, die durch Drogenmissbrauch aufgefallen sind. Alkohol wird in allen Subgenres des Heavy Metals in hohem Masse konsumiert.

 

Im Black Metal entfernt man sich bewusst aus der Allgemeinverständlichkeit. Man schafft einen Kult um sich und seine Musik, seine Band, seine Anhängerschaft, um Kritik substanzlos zu machen. Vergewissert man sich der eigentlichen Aufgabe jeder Philosophie, die Grundlagen der Kommunikation offenzulegen und Kritik an selbstgefälliger Machtausübung und selbstverständlicher Ignoranz zu üben, so wird klarer, warum sich Black Metal für eine Durchleuchtung anbietet. Hideous Gnosis versucht jedoch, mit und nicht gegen den Black Metal Philosophie zu betreiben. Selbstredend begibt sich diese Theorie in Tropen, die karg, wüst und menschenleer sind. Black Metal-Theorie bespricht nicht unbedingt die bestehenden Artefakte und neuen Veröffentlichungen, denn dies ist bereits Aufgabe des Musikjournalismus. Black Metal-Theorie beschäftigt sich vielmehr mit der geistigen Umgebung dieses Subgenres. Sie untersucht, unter welchen Voraussetzungen eine bewusst gewählte Umnachtung, ein Abschied vom Bewusstsein, ein Aufgehen im Nichts möglich ist.

 

Vom Vor- und Nachteil der Wissenschaft: Cui bono

 

Mancher Studienbeginn wirkt ernüchternd: statt eigene Gedanken zu pflegen, wird auf die historische Aufarbeitung kanonisierter Texte geachtet. Sicher muss das Handswerkzeug erlernt werden, doch zuckt es manchen Studenten der Philosophie, seine eigene Passion mit dem Studiengegenstand zu verbinden. Dies geschieht nun in der Black Metal-Theorie und auf dem Black Metal Theory Symposium. Diese Art der angewandten Wissenschaft wird, so ist zu vermuten, im deutschsprachigen Raum von einigen Vertretern der Metalforschung freudig aufgegriffen werden. Inwiefern diese Theorie in der entsprechenden subkulturellen Musikszene verankert ist, wird sich erst nach einer Konsolidierung ihrer wilden Wogen zeigen. Die Black Metal-Szene als Subkultur zu verstehen, mag sich an den Rändern eher als unzutreffend erweisen.

 

Wenn Musikgruppen sich mit Metaphysik, Mystik und ästhetizistischen Satanismus auseinandersetzen. Black Metal wird wiederum von Künstlern wie Harmony Korine und Bjarne Melgaard entdeckt. Stephen O'Malley von Sunn O))) ist über die engen Grenzen der Spartenmusik hinaus als Grafiker bekannt und geschätzt. Der Carpathian Forest-Bassist Daniel Vrangsinn nimmt an einer Kunstausstellung in Norwegen Teil. Der frühere Mayhem-Sänger Maniac kooperiert längst mit Musikern aus dem experimentellen Ambient-Bereich. Die Grenzen zum Black Metal sind offen, doch die Kultisten verstecken das Kästchen mit dem Mysterium tief im inneren Wald. Im Angesicht der Ewigkeit und doch fasziniert vom Zerfall. "The record collection of the black metal devotee may specify hundreds or thousands of instances of decay, pestilence, and the encumbering body's dissolution." (Russo, S. 93-103, hier: S. 102)

Eine Subkultur opponiert zu einem Gegenmodell und bietet einen kreativen Freiraum. Dann müssen die Spezifikationen eigentlich schon aufhören, da im Black Metal das kommerzielle Interesse längst Einzug gefunden hat. Selbst musikalisch "radikale" Vertreter dieses Metal-Subgenres wie Immortal aus Norwegen sind längst Kanon und werden von einer Plattenfirma mit internationalem Renommée und professioneller Struktur veröffentlicht und vermarktet. Sie spielen auf Deutschlands größtem Festival in dieser Sparte, dem Wacken, als Headliner. Dieser Aspekt taucht in dem Sammelband zur Black Metal-Theorie nicht auf. Die Funktion des kommerziellen Marketings passt nicht in ein idealistisches Projekt des gepflegten Nihilismus. Eine Band wie Immortal wird jedoch auf dem Black Metal Theory-Symposium genannt, da sie rein musikalisch einen unverzichtbaren Beitrag zum zeitgenössischen Black Metal zugesteuert haben. Bislang kann aus dem Internet-Blog und dem gedruckten Buch kein klarer roter Faden erkannt werden. Dies liegt keinesfalls in der Absicht der Autoren. Eine bewusste Schwärzung der akademischen Wissenschaft liegt - in Anlehnung an die Nigredo in der Alchemie - im Ansinnen der Black Metal-Theoretiker. Eine gegenaufklärerische Geste, doch verdankt sie sich mehr einem vitalen Interesse an dunkler Thematik als einer sektiererischen Exklusivitätsklausel. Ohne die entsprechenden Beispiele aus dem Metal-Subgenre funktioniert verständlicherweise die Black Metal-Theorie nicht. Einige Bands sind für diese Philosophie bereit, andere konzentrieren sich auf die Musik und auf die Erwartungen einer Subkultur. Sich selbst völlig zu offenbaren, entbehrt jeder Attraktivität, denn der Kult verflöge in die Beliebigkeit einer durchgestylten Lebenswelt. Black Metal soll nach Ansicht vieler seiner engen Anhänger rau, dreckig, verschmutzt, durchgeknallt, menschenfeindlich, antisozial und lebensverneinend bleiben, bis in alle Ewigkeit. Die Verständigung zwischen aktiven Musikern und reflektierenden Theoretikern scheint dann schwierig. Allmählich erst wird sich der eigentliche Nutzen solcher Wissenschaft abzeichnen. Die Schwermut akademischer Forschung, das Bemühen um Sonorität wird in der Black Metal Theory durch den überwältigenden Sound übertönt. Vielleicht kann die Black Metal-Theorie als ein Befreiungsschlag langer unterdrückter Emotionen gelesen werden und Black Metal als der Versuch Leidender, mit Menschenköpfen Blinde Kuh zu spielen. Man sieht diese Welt nicht als Heimat, möchte vergessen und schlägt blind um sich, in der Hoffnung, den begehrten Menschen, den Anderen unter all den blechern klingenden Töpfen zu finden, denjenigen Menschen, der sich noch bewegen kann, der flüchten kann, trotz all der todesbringenden Zeichen. Aspasia Stephanou beschreibt die Rolle der kreischenden Stimmen im Black Metal als eine Parabel auf das Märchen vom Wolf und dem Rotkäppchen. Das ist keinesfalls billige Psychologisierung, sondern ein erstes Verständnis des Ferments, aus dem Black Metal entstand und von dem er heute noch zehrt: das Unbehagen in der Moderne. Dieses geht nicht mit Stille - einer literarischen Umsetzung zum Beispiel - einher, sondern mit dem Lärm eines getroffenen Idealisten, der aus erlebter Enttäuschung oder aus genereller pessimistischen Haltung zum Atheisten und letztlich zum Nihilisten wird. Gerade dadurch zeigt ein Black Metal-Musiker seine ungebrochene Liebe zum Werdensprozess dieser Welt. Ein neuromantisches Projekt könnte man literarhistorisch oder mentalitätsgeschichtlich meinen. Oder vielleicht doch eher nekromantisch. Doch gehört es ebenfalls zu dieser Musik, dass man jeder Fremdbeschreibung einen Stinkefinger zeigt. Einen Finger, der bis zum Himmel reicht.

 

Die Black Metal-Theoretiker und Symposiumsteilnehmer können sich also auf dem richtigen Weg wähnen. Die Kritik der Fans zeigt, dass sie in den Kern des Black Metals zielen und möglicherweise bald schon treffen. Es ist zu wünschen, dass die Musik nicht zum Vorwand einer chose extraordinaire wird, sondern Musiker, Wissenschaftler, Aktivisten und selbst Kultisten an diesem Projekt zusammenarbeiten. In grenzwissenschaftlichen Disziplinen wird bewusst aus dem untersuchten Gegenstand die Methodik abstrahiert: also in theoretischer Beschäftigung mit einem schillernden Phänomen geschieht eine Imprägnierung des scheinbar intersubjektiven Standpunkts. Der Forscher erfährt eine Einfärbung seiner Perspektive: die Schwärzung der Theorie durch den Black Metal, die Radikalität in der Konsequenz, die sicher auch in argumentativen Strängen von Vorteil sein kann. Auf der anderen Seite empfiehlt sich die Black Metal-Theorie für eine essayistische Aufbereitung, da sich Aussagen der Aktivisten mit Philosophemen wie auch Vorbehalten der Kultisten mischen. Was am Ende dieser Theoretisierung stehen wird, ist zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Eine bewusste Umnachtung, um in Abgründen menschlicher und kosmischer Herkunft die Tiefen anthropologischer Weisheit aufzuschürfen. Oder um schlichtweg dem unausweihlichen Tod den Weg zu bereiten.

Letzten Endes könnte die Black Metal-Theorie als eine finstere Schwester der Lebensphilosophie in die Geschichte eindringen. Das Chaos dieser Musik verunmöglicht eine Bestimmung dessen, was da auf uns zukommen wird.

 

Dominik Irtenkauf

 

 

Weitere Infos

- Kahn-Harris, Keith: Extreme Metal. Music and Culture on the Edge, Oxford und New York 2006.

- Masciandaro, Nicola (ed.) : Hideous Gnosis. Black Metal Theory Symposium I, New York 2010: createspace. Alle Zitate im Text aus diesem Buch.

- Moynihan, Michael und Didrik Søderlind: Lords of Chaos. The Bloody Rise of the Satanic Metal Underground, Los Angeles 2003.

- Weinstein, Deena: Heavy Metal. A Cultural Sociology, New York 1991.

 

Webseite

blackmetaltheory.blogspot.com

 

 

 

 

Buchcover: "Hideous Gnosis"
Nial Scott, Scott Wilson, Steven Shakespeare und Erik Butler
Nicola Masciandaro, Hg. des Buchs "Hideous Gnosis"