3. September 2009

Selbstbeschreibungen

 

Der schmale Band versammelt fünf Interviews des Autors Vincent Roy mit Philippe Sollers aus den Jahren 2001 bis 2005. Er gibt Gelegenheit, das rezent Explikative des Radikal-Hedonisten Sollers kennenzulernen und mit Skriptural-Fiktivem abzugleichen. Die Fragen sind nicht mehr als an der Oberfläche versteckte Autokatalysatoren. Man kann sich auch nur schwer eine Diskussion mit Philippe Sollers vorstellen. Sollers diskutiert nicht, er distanziert. Und das eher vertikal als horizontal. Ein Erbe Nietzsches vermutlich. Zarathustra, wie er in den Bergen haust. Glückliche Einsamkeit.

 

Und doch braucht es irgendwann die Konfrontation mit dem Feind. Das Glück des Philippe Sollers ist nicht selbstgenügsam. Es scheint, dass die Mitteilung eben dieses Glücks selbst Teil des Glücks ist. Dass man anders ist als die anderen (hier darf man natürlich nicht an Homosexualität denken), dass man – anders als die anderen – die Welt durchschaut und als einziger den Schlüssel zu den wichtigen Texten der Weltliteratur besitzt. Diese Haltung findet sich in zahllosen Texten des Autors. Der Hass des Autors auf die Gegenwart ist notorisch. Die „mondialisation“ sei „invivable“ „praktisch überall“.

 

Doch es gebe „plaques“, also so etwas wie Flecken oder Schollen, an denen es interessant ist oder wird. Solche „plaques“ müsse man entdecken. Für Sollers stellt eine Spielart von Literatur eine solche „plaque“ dar, also Autoren wie Rimbaud, Bataille, mehr und mehr Nietzsche, dessen Theorem von der „Ewigen Wiederkehr“ hier allerdings keine neue Deutung erfährt, wenn überhaupt, hier hätte man doch gerne etwas mehr Hakenmentalität des Interviewers vermerkt. Eine weitere Scholle: Venedig, eine etwas größere: China. Zur Erinnerung: Sollers war mal eine Zeitlang Maoist. Ja, und dann gibt es noch die Frauen, zu denen Sollers einen ganzen Roman geschrieben hat: „Femmes“.

 

Dieser Roman ist nur 26 Jahre nach Erscheinen auf eine ganz andere Art unlesbar geworden im Vergleich zu seinen wirklich unlesbaren Texten aus der „textuellen“ Phase seines Schreibens („Nombres“, „Drame“, „Paradis“ etc.). Ein weiteres Steckenpferd: der Bezug auf Guy Debord. Das Schlendern durch Venedig: exemplarische „dérive“ als Psychogeografie. Dann das wunderbare Gefühl, schlecht beleumundet zu sein („cette mauvaise réputation“, Debord), um daraus abzuleiten, alles richtig gemacht zu haben. Wahrscheinlich machen das wohl viele so, aber so diskret wie der „Schlendrian“ ist Sollers dann doch nicht. Was nicht fehlen darf: „ne travaillez jamais“, die Devise Debords, an die er sich selbst nicht ganz gehalten hat. Also das „Ancien régime“ hatte schon seine Vorteile für den, der Nutznießer sein durfte, keine Frage. Eine Kritik der Soller’schen Position wird natürlich sofort als „ressentiment“ verbucht. Keine schöne Sache das.

 

Aber zuletzt geht es ja auch gar nicht um einen Dialog mit diesem Autor, der sich abgedichtet hat seit langer Zeit. Man lernt hier eine Strategie kennen, wie sich jemand seit seines Auftauchens als Autor als Avantgarde verkauft. In unserer heutigen post-avantgardistischen Zeit kann eine solche Position freilich nur eine reaktionäre sein. Und siehe da: Auch die Interpretation seiner Texte folgen problemlos dem literaturwissenschaftlichen Analysekatalog, man lese nur die ersten Seiten bzw. das erste Interview, in dem Sollers den ersten Absatz eines eigenen Romans „erklärt“. Wo bleibt da die geforderte „Gefährlichkeit“ von Literatur?

 

Dieter Wenk (08-09)

 

Philippe Sollers, L’évangile de Nietzsche. Entretiens avec Vincent Roy, Paris 2006 (Le cherche midi)