Carsten Klook über Lyrik im Netz
Dass sich Lyrik schwer verkaufen lässt, wissen die Dichter ebenso wie die Verlage. Im Internet aber erfreut sie sich zunehmender Beliebtheit und erlebt einen großen Boom. Vorgestellt werden drei Portale, auf denen sich Interessantes finden lässt.
Lyrikline.org ist der Renommierbetrieb unter den Anbietern im Netz. „1998 entstand die Idee dazu, es war ein Projekt der Literaturwerkstatt Berlin“, sagt der Literaturwissenschaftler, Projektleiter und Redakteur Heiko Strunk. Gelder wurden akquiriert, im November 1999 ging man online. Mit 16 Autoren. Inzwischen sind 5100 Gedichte von 570 Dichtern aus 49 Sprachen und über 6200 Übersetzungen in 47 Sprachen zu lesen und zu hören – von den Dichtern selbst gesprochen. Zusätzlich zu den Gedichten findet man bio- und bibliografische Angaben und Lyrik-Infos. „Wir haben den Widerspruch erkannt: Lyrik hat es auf dem Buchmarkt schwer, unsere Veranstaltungen und Poesienächte aber haben sehr gut funktioniert. Das Gedicht braucht die Vertonung selbst, der Vortrag gehört dazu. Das ist den nachwachsenden Autoren heute viel bewusster als früher.“ Vier Millionen Besucher verzeichnet Lyrikline.org seit 1999.
Träger der Lyrikline sind neben der Literaturwerkstatt Berlin u.a. das Goethe-Institut, der Hörverlag, die Kulturstiftung Pro Helvetia sowie zahlreiche internationale Partner.
Von Paul Celan, Gottfried Benn, Anne Duden, Elke Erb über Wolfgang Hilbig, Oskar Pastior und Peter Rühmkorf reicht die Palette deutschsprachiger Dichter. Von den „Jungen“ findet man hier u.a. Johannes Jansen, Farhad Showghi, Mirko Bonné, Ulf Stolterfoht, Franzobel, Uljana Wolf und Ron Winkler.
Die an diesem Projekt teilnehmenden Partner anderer Länder übersetzen ihre Autoren gegenseitig. „Man ist bemüht, die gleiche Anzahl an Gedichten beizusteuern und die Lyriker anderer Länder zu übersetzen. Sonst könnte ja jedes Land für sich eine Website betreiben“, erzählt Strunk.
2005 gewann die Lyrikline den Grimme Online Award. In diesem Jahr wird das zehnjährige Bestehen gefeiert. Dazu findet vom 26. Bis zum 31. Oktober eine große Festwoche in Berlin statt, verschränkt mit internationalen Partnern.
Der Lektor, Herausgeber und Autor Andreas Heidtmann startete den Poetenladen.de im Jahr 2005. „Zuerst war es nur ein kleiner Kreis von Autoren. Angefangen haben wir eher mit Prosa. Aber es kamen dann vor allem Lyriker auf uns zu, da diese es immer schwerer haben, verlegt zu werden. Das Netz ist sehr geeignet für Lyrik wegen der Textkürze, es steht meist alles auf einer Seite. Romane sind im Netz dagegen schwerer zu lesen. Wir haben weit über 3000 Besucher pro Tag.“
Es gibt auf Poetenladen.de sehr viel zeitgenössische Prosa und Lyrik zu entdecken. Bio-bibliografische Angaben, Rezensionen und Essays sowie Links zur Literaturkritik und anderen Online-Organen rund um die Literaturszene runden das Angebot ab. Autoren können im Forum auch miteinander diskutieren.
„Wir arbeiten mit dem Leipziger Literaturinstitut zusammen und werden von Studenten unterstützt. Bei uns kann man die Texte einer 19-jährigen Lyrikerin neben Gedichten von Elke Erb oder Friederike Mayröcker lesen.“ Das Angebot umfasst cirka 350 Autoren. Es gibt Gedichte vom gerade verstorbenen Adolf Endler, Gerhard Zwerenz, Sabine Scho, Norbert Hummelt, Björn Kuhligk und vielen, vielen anderen zu entdecken.
„Wir haben uns von Anfang an um ein ästhetisches Bild bemüht. Der grafische Bereich, der Illustrationen und Arbeiten darstellender Künstler einschließt, ist wesentlich für unsere Website“, erläutert Heidtmann.
Aus dem Portal und dem großen Autorennetzwerk ging ein Verlag mit Einzeltiteln von Lyrik und Prosa sowie das Literaturmagazin „Poet“ hervor. Man ist auf Buchmessen präsent und wirbt mit Lesungen außerhalb der virtuellen Welt für sich. Inzwischen wird die siebte Ausgabe des Literaturmagazins gedruckt.
Und wo findet man weitere Poeten aus dem deutschsprachigen Raum? Das Portal Fixpoetry.com ist ein aufstrebender Newcomer. Diese Website startete 2008 nach einer Idee von Julietta Fix mit sechs Autoren. Das außergewöhnliche Webdesign mit hohem Wiedererkennungswert präsentiert Texte in so genannten Autorenbüchern zum Umblättern per Mausklick. Inzwischen veröffentlichen hier cirka 120 Autoren vor allem Lyrik und Kurzprosa. Daneben gibt es bio- und bibliografische Angaben. „Finanziert wird das Projekt von zwei Sponsoren. Ziemlich große Firmen, die nicht genannt werden wollen“, sagt Julietta Fix, die selbst Gedichte und Prosa schreibt und in Buchform veröffentlicht hat. Ein halbes Jahr nach Beginn kam Frank Milautzcki dazu, der ebenfalls u. a. Gedichte publiziert. Er führt die Redaktion des Portals.
Essays, Rezensionen, Podcasts und nach dem Relaunch auch ein Salon mit Bildergalerien von Autoren und Künstlern ergänzen das Angebot. Die unglaublich umfangreiche Sammlung an Links zu Webseiten von Autoren und zu Stipendien ist außergewöhnlich.
„Das Internet kann eine Treppe zum Buch sein. Hier fällt der elitäre Touch, den Lyrik haben kann, weg“, konstatiert Frau Fix.
Für den wöchentlich erscheinenden Newsletter, der jeweils ein illustriertes Gedicht und Infos beinhaltet, gibt es bereits 6000 Abonnenten. Waren es im Januar 2009 noch 245 Visits täglich, kletterte die Zahl im Juli bereits auf 918. Das sind über 28.000 Visits in einem Monat.
Zu finden sind neben Gedichten u.a. von Michael Wildenhain, Hellmuth Opitz, Enno Stahl, Dieter Schlesak, Arne Rautenberg und Tom Schulz (die beiden letzteren veröffentlichen auch im poetenladen.de) auch junge, unbekannte Autoren, manche von ihnen erst 17 Jahre alt. Auf Fixpoetry.com findet man auch Autoren, die dem Kanon des Literaturbetriebs auf angenehme Weise nicht entsprechen wollen.
Im Podcasts-Archiv kann man selbst gesprochene Texte und Hörcollagen von derzeit 14 Autoren hören, Tendenz steigend.
„Wir möchten auf unserer Website den Hang zum Hermetischen überwinden, den Lyrik haben kann. Und eine Offenheit an den Tag legen“, sagt Frank Milautzcki, der im Feuilleton mit seinem großen Essay „Grundlegendes zur Lyrik der Gegenwart“ einen interessanten Überblick wagt.
Zusätzlich zum Online-Angebot gibt Fixpoetry Lesehefte von einzelnen Autoren heraus, die online bestellt werden können. Neun sind es bisher.
Carsten Klook