15. Juni 2009

Der Anti-Philosoph

 

1927 veröffentlicht Martin Heidegger, geboren 1889, im gleichen Jahr wie Adolf Hitler, sein in der Erstausgabe noch Edmund Husserl, einem Juden, gewidmetes Buch „Sein und Zeit“. 1933 ist Heidegger Mitglied der NSDAP, macht sich stark für das Führerprinzip und befürwortet das am 7.4.1933 verabschiedete „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das es Juden verwehrt, weiterhin ihren Beruf auszuüben, wovon unter vielen der Heidegger-Schüler Karl Löwith betroffen ist.

 

1932 publiziert Louis-Ferdinand Céline, geboren 1894, seinen Roman „Reise ans Ende der Nacht“, mit dem er knapp den Goncourt verpasst, was seinem Renommee jedoch keinen Abbruch tut. 1937 erscheint Célines erstes antisemitisches Pamphlet, „Bagatellen für ein Massaker“, dem zwei weitere folgen. Martin Heidegger gehört zu den wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, Louis-Ferdinand Célines „Voyage…“ zählt zu den wichtigsten Romanen des gleichen Zeitraums. Und doch muss sich jeder Leser, der sich näher mit den beiden Autoren, denen weitere ergänzend zur Seite gestellt werden könnten, beschäftigt, fragen, wie unterstellte Genialität und offensichtliche Schwächen zusammengehen.

 

Emmanuel Faye, der Heidegger ein dickes Buch gewidmet hat, das im Untertitel provozierend „Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie“ heißt, legt ein leidenschaftlich geschriebenes Plädoyer vor, das dazu auffordert, Heidegger aus der Philosophie zu entfernen. Faye sieht in dem deutschen Philosophen eine ernste Gefahr für die Zukunft der Menschheit. Die Zeit von 1933-1934/35, in die nicht nur Heideggers Parteimitgliedschaft fällt, sondern auch seine berüchtigte Rektoratsrede an der Universität in Freiburg, wird nicht als zu entschuldigender Ausrutscher eines sich dann wieder gefangen habenden Philosophen interpretiert; sie sei ein Kern, der sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft Weiterungen zu entwickeln erlaube und es unmöglich mache, den Nationalsozialismus Heideggers eben nur als eine kurze Betriebsblindheit zu fassen: Heidegger sei, so die These, bis zu seinem Tod ein nationalsozialistischer Philosoph geblieben, dessen Telos man schon 1927 in „Sein und Zeit“ hätte ausfindig machen können. (In Célines 1927 verfasstem Theaterstück „Die Kirche“ taucht eine Figur auf mit dem Namen „Yudenzweck“: Antizipation des späteren Ausrastens?)

 

Es tut dem Anliegen Fayes nicht gut, doch ziemlich penetrant auf der angeblichen Gefahr Heideggers zu beharren und die Philosophenzunft auf ihre eigentliche Aufgabe zu vergattern, nämlich die Pflege von „Offenherzigkeit“ und „der Hingabe an den Nächsten“. Heidegger dagegen habe die abendländische Philosophie vernichtet dadurch, dass er sich nicht nur an den Nationalsozialismus angebiedert, sondern dessen eigenste Prinzipien in die Philosophie eingeführt habe. Und doch: Wie immer man zur Aufgabe der Philosophie stehen mag, eines ist wohl nach der Lektüre dieses Buches klarer geworden als je zuvor, dass Heidegger in der Tat ein Kollaborateur im eigenen Lande war. Die zahlreichen Belege, die Faye aus noch unveröffentlichten Seminaren aus der Zeit von 1933/34 und 1934/35 anführt, die universitätsinternen Empfehlungen Heideggers mit ihren oftmals antijüdischen Ausrichtungen, die der Franzose ausfindig gemacht hat oder auf die er sich schlicht bezieht, der Hinweis auf zahlreiche mehr als dubiose Bekanntschaften, die Heidegger mit einschlägig bekannten NS-Leuten unterhielt, manchmal über das Ende des Zweiten Weltkriegs hinaus, die heikle Begrifflichkeit des Mannes aus dem Breisgau, vor der man nur staunen kann, all das wird dazu führen, dass man den nächsten Heidegger-Text wahrscheinlich mit anderen, gewappneteren Augen lesen wird.

 

Es ist wohl wahr, dass manche der zitierten Textstellen nicht das hergeben, was Faye glaubt, in sie hineinlegen zu können, doch in der Masse verdichtet sich das Zitierte und weist in eine unheilvolle Nähe. Dann wiederum gibt es kuriose Parallelisierungen zwischen Texten Heideggers und dem unmittelbaren Zeitkontext, dass man sich fragt, ob man in einer seltsamen Komödie sitze oder die Dinge wirklich so absurd aufzufassen sind: Ein Beispiel ist Fayes Lektüre des Begriffs „Lichtung“ bei Heidegger in dem Vortrag „Der Ursprung des Kunstwerks“, in dem dieser Begriff eine klare Anspielung auf die „Lichtsäulen“ anlässlich des Parteitages in Nürnberg 1935 sei und der „Tempel“ nichts anderes als die 360 Meter lange Tribüne auf dem Zeppelinfeld. Es ist vielleicht nicht das Schlechteste, dass Faye den Leser staunen macht. Und man muss sagen, dass das meiste gegen Heidegger spricht. Es sind keine Fußnoten, die Heidegger diskreditieren, sondern in der Tat ein Projekt nicht nur philosophischen, sondern vor allem politischen Ausmaßes. Und das sei bis zu Heideggers Tod das gleiche geblieben? Nur verborgener, abgründiger, verquaster?

 

Man könnte etwa sagen, dass an die Stelle Hitlers der Dichter Hölderlin getreten sei. „Hölderlin ist für uns ein Schicksal“, so heißt es in einem Rundfunkbeitrag Heideggers aus den 50er Jahren. Wer die Predigt noch im Ohr hat, wird sich wohl fragen, warum man ob des Vortrags nicht in Gelächter ausgebrochen ist. Im Grunde die Karikatur von Philosophie, Religion, Mythologie und Dichtung in einem. Wirkliche Gefahr sieht anders aus. Und den Erfolg Heideggers müsste man einem Missverständnis anlasten. Ein Argument dafür, dass es Heidegger nicht gelungen ist, den Leser subkutan mit Nationalsozialismus anzustecken. Das ist übrigens auch Céline nicht mit seinen allerdings ganz manifesten antisemitischen Schriften gelungen. Zu viel Spielerei, Balletttänzerei um den antisemitischen Kern herum. Zu viel Künstlertum. Man muss sich Heidegger als einen Abgesandten Gottes vorstellen. Aber Gott existiert nicht.

 

Dieter Wenk (05-09)

 

Emmanuel Faye, Heidegger. Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie – Im Umkreis der unveröffentlichten Seminare zwischen 1933 und 1935, aus dem Französischen von Tim Trzaskalik, Berlin 2009 (Matthes & Seitz Berlin)

 

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