Raritätensammlung
Ein Fotoband versammelt erstmalig Aktaufnahmen von 18 namhaften DDR-Fotografen. Dabei erzählen die Bilder nicht nur von einer anderen Zeit, sondern auch von einem Selbstverständnis, das dem Gegenwärtigen einiges voraushatte.
Wenn es etwas gibt, das seit jeher als DDR-Volkssport herhalten muss, dann ist es die Nudistenkultur der Ostdeutschen. FKK, Freie Körperkultur, so hieß das im Arbeiter- und Bauernstaat. Mit Kultur hatte dies freilich wenig zu tun, sondern vielmehr mit einem Selbstverständnis fernab der heute vorherrschenden Schönheitskategorien. Daher war das Verhältnis der Menschen im Osten zu ihrem Körper ungestörter, als es das heutzutage bei vielen Menschen ist. Nichts beweist dies besser als der erste Sammelband zur fotografischen Aktkunst in der DDR „Schön nackt. Aktfotografie in der DDR“. In dem unter vieldeutigem Titel erschienenen Konvolut sind die Schwarz-weiß-Fotografien von 18 namhaften DDR-Fotografen versammelt, darunter Günter Gueffroy, Günter Rössler, Gerhard Weber u.v.a.
Dabei zeigt der Band die Aufnahmen von ganz gewöhnlichen Frauen, die angesprochen und teilweise auch sanft überzeugt werden mussten. Und dennoch spricht aus ihren Gesichtern und Haltungen nicht Scham oder Zierde, sondern eine selten zu sehende Anmut. Die Körpersprache der auf den Fotografien abgelichteten Frauen ist eine völlig andere als bei der heutigen Aktfotografie. Betrachtet man die Modelle in diesem Band, füllt dort, wo heute billige Laszivität vorherrscht, die weibliche Würde das Bild aus. So tritt hier die bloße Nacktheit der Modelle hinter die Aura zurück, die sie umgibt. Eine längst vergessene Ästhetik kommt zum Vorschein.
Die fotografierten Frauen, obwohl oft die klassische „Dame von nebenan“, wirken intellektuell und kunstaffin. Sie besitzen die Ausstrahlung und Selbstsicherheit einer Literaturstudentin oder Tänzerin, nicht die einer Friseurin auf der Balz. So müssen die Modelle auch nicht um die Aufmerksamkeit des Fotografen werben. Sie haben sie! Dafür müssen sie nicht posieren, sondern präsentieren sich in ihrer intimsten Natürlichkeit. Unrasiert, ungepusht und unretuschiert. Plagiatsexistik à la „Bild“-Zeitung findet hier nicht statt.
Die Fotografien erzählen nicht nur von einer anderen Zeit, sondern auch von einer anderen Gesellschaft, in der schlichtweg andere Frauen- und Männerbilder vorherrschten. Dies wird an der Haltung der Frauen erkennbar, an ihrer Mimik und Gestik, aus denen Natürlichkeit, Offenheit und Interesse dem fotografischen Akt gegenüber zutage tritt. Nicht das Ergebnis steht dabei im Vordergrund, sondern die persönliche Anmut im Moment der Aufnahme. Modell und Fotograf begegnen sich auf Augenhöhe.
Dass es sich hierbei um Kunst handelt, wird gleich in vielerlei Hinsicht deutlich. Zum einen waren die Publikationsmöglichkeiten in der DDR stark beschränkt, sodass sich nur Qualität durchsetzen konnte. Darüber hinaus musste der künstlerische Aspekt bei derlei Arbeiten deutlich im Vordergrund stehen. Sexistik oder Pornografie waren tabu. Und schließlich sprechen auch die Umstände, unter denen die Aufnahmen gemacht wurden, dafür, dass hier Künstler am Werk waren. Die Fotografen müssen Existenzialisten, Minimalisten und Improvisionisten gewesen sein, denn von professionellen Bedingungen war das alles weit entfernt. Man sieht die Einrichtungsgegenstände von Privatwohnungen, die offen oder verdeckt als Kulisse herhalten mussten. Nahezu alle Aufnahmen wurden ohne Blitz gemacht, und etliche sind in der Einsamkeit und Abgeschiedenheit der Natur entstanden.
Nur wenige dieser Fotografien konnten in der DDR publiziert werden, wenn, dann meist im „Magazin“ oder der Jugendzeitschrift „Neues Leben“. Dass in diesem Band rund 150 fotografische Akte versammelt sind, ist eine späte Hommage an die Künstler aus der ehemaligen sozialistischen Republik. Darüber hinaus lassen uns diese Bilder fernab von jeder Nostalgie einen wichtigen Moment lang über den Wert der gegenwärtigen Schönheitsmaßstäbe nachdenken.
Thomas Hummitzsch
Schön nackt. Aktfotografie in der DDR. Mit einem Geleitwort von Willi Sitte und einem Schlusswort von Jutta Resch-Treuwerth. Verlag Das Neue Berlin. Berlin 2009. 192 S. 19,90 €. ISBN: 3360019571.
Ausstellung: „DDR hautnah“ (14.05.2009 - 05.06.2009); Fotogalerie Friedrichshain, Helsingforser Platz 1, 10243 Berlin
Im Rahmen der Ausstellung »KunstKreuz« zeigt die Fotogalerie am Helsingforser Platz wunderschöne Aktfotos aus dem Buch »Schön nackt«, sowie eine unterhaltsame Sammlung von Ansichtskarten aus der DDR. geöffnet Mi. bis So. jeweils 15.00-19.00 Uhr Finissage: 5. Juni 2009, 19.00 Uhr Eintritt frei.