24. Mai 2007

Krieg der Liebe

 

Dieses Ballett spielt nicht im arktischen Tiefseegraben Neufundlands wie Célines „Scandale aux Abysses“, sondern in den heiteren Höhen des alten Olymp. Aber selbst die Götter dort oben bleiben nicht vor dem anscheinend unausweichlichen Schicksal verschont, dass ein zu langes Zusammenleben sich eher negativ auf die Beziehung der Geschlechter auswirkt. Nach viertausend Jahren Ehe ist aus jedem einst amourösen Verhältnis die Verve des Verlangens gewichen. Jupiter ist einfach nur noch gelangweilt, wenn seine Juno, schwerfällig und plump geworden, im Schlafzimmer die Animierdame spielt. Aber Juno hat sich damit nicht abgefunden. Sie befürchtet – zu Recht – Eskapaden des Hauptes der Götter. Immer wieder treibt sich Jupiter mit dem Schlingel Cupido auf den Jahrmärkten herum und baggert junge Zigeunermädchen an. Aber den Olymp beschweren noch ganz andere Probleme. Die einstigen Haudegen und Generäle Achill, Ajax und Odysseus fordern Vergeltung gegen die einstige Niederlage gegen die Zyklopen. Angeführt von Mars tanzen sie einen schweren Kriegstanz. Den von Venus angeführten Frauen gefällt das natürlich gar nicht. Sie wollen endlich den ewigen Frieden. Ihr Tanz ist pathetisch und ganz traurig. Die dummen Männer, die nicht auf sie hören wollen. Dann kommt es auch noch zu Streitereien zwischen den Generälen und Mars, Verrat soll im Spiel sein, „fünfte Kolonne“. Die Götter sind schwach, Mars soll seine Taktik gegenüber den Zyklopen vorlegen. Fürchterlich aussehende Masken sollen diese erschrecken. Wie gut, dass man an einem gefangenen Zyklopen die Wirkung testen kann. Anders als erwartet lacht sich der vorgeführte Zyklop, ein unglaublich hässliches Monster, halb tot über die Maske. Ein grotesker gemeinsamer Tanz von Zyklop und Mars besiegeln das Schicksal des lächerlichen Plans. Achill, Ajax und Odysseus wollen nun die Blitze von Jupiter selbst rauben zwecks Vernichtung der Gegner. Tolle Idee. Tanz des Jubels. Die Frauen finden das gar nicht schön, sie führen den Tanz des Kummers auf. Der tapfere Achill führt den Plan aus, der Raub gelingt, beglückter Teufelstanz der Generäle, natürlich. Den Frauen bleibt als Reaktion nur noch die Verführung. Waffenstillstand für eine Nacht. Man trinkt, feiert gemeinsam, Érythre, die schönste Tänzerin, raubt ihrerseits die Blitze des Jupiter. Aber wohin damit? Sie sucht ihre beste Freundin, auf, die Sirene Prynthyl (der Star von Célines Ballett „Scandale aux Abysses“), das feuchte Element soll ein für allemal Ruhe vor den gewalttätigen Reaktionen des Olympiers geben. Aber schon tanzt Jupiter seinen Tanz des Zorns. Gute Gelegenheit für Juno, sich ein bisschen zu rächen, denn Érythre ist eine geheime Favoritin des garstigen Gatten. Tanz der Wärter, angestiftet von Juno. Wie gut, dass es auch im Himmel Tanzlehrerinnen gibt, die ein gutes Wort einlegen können. Die Muse Terpsichore kann nicht mit ansehen, wie ihre beste Schülerin bestraft wird. Gemeinsam mit dem Unterhändler Cupido erwirken sie die Chance, dass sich die Musterschülerin von ihrer besten Seite vor den Göttern präsentieren kann. Derweil liefert Prynthyl die ganz nass gewordenen Blitze im Olymp ab. Junos Rache ist fürchterlich, die beiden Mädchen sollen dem Zyklopen ausgeliefert werden. Der ist schon ganz wild auf die beiden und tanzt einen monströsen Tanz. Dann erscheint der intrigante Cupido auf dem Plan und erreicht einen Aufschub vor der fürchterlichen Hochzeit. Er hat einen Gast mitgebracht. Es ist die Zigeunerin, die einst Jupiter den Kopf verdrehte. Gewagtes Spiel vor Juno. Die ist sauer. Jupiter leugnet. Die Zigeunerin lässt sich nicht beirren. Großes Tohuwabohu. Dann schießt Cupido seine Pfeile ab. Man solle sich amüsieren. Der Krieg ist tatsächlich vorbei. Sogar der Zyklop versucht, das beste aus seiner Deformation zu machen, was ihm aber natürlich nicht gelingt. Überall fliegen jetzt die Liebespfeile herum, der Krieg der Liebe ist erklärt, die Liebe triumphiert, allgemeiner Friede. Nur Mars, beleidigt in der Ecke, grummelt und ruft seine typischen Beleidigungen aus, dass er sie alle in der Pfeife rauchen wird. Céline veröffentlichte dieses Ballett 1948. Zu dieser Zeit befand er sich noch in Dänemark, an eine Rückkehr nach Frankreich war noch nicht zu denken, da ihm als Landesverräter die Todesstrafe drohte. Das erste Jahr konnte er frei in Dänemark verbringen, doch als Frankreich Interesse an einer Auslieferung des Kollaborateurs bekundete, wurde Céline verhaftet. Zu der Zeit schrieb er gerade an diesem mythologischen Ballett, das er aufgrund dieser Umstände unterbrechen musste. 1947 beendete er es. Man sollte die Ballette wirklich mal verfilmen, die sind reinstes Camp.

 

Dieter Wenk (02.07)

 

Céline, Foudres et flèches. Ballet mythologique, in: Louis-Ferdinand Céline, Ballets sans music, sans personne, sans rien, Éditions de Pascal Fouché, Paris 2001 (Gallimard)

Pascal Fouché (Hg.), Céline, le progrès, suivi… – Fortschritt und andere Texte für Bühne und Film, zusammengetragen und vorgestellt von P.F., Merlin Verlag, 1997, 272 Seiten