13. Oktober 2003

Unterkomplexes Schreiben

 

Von Gustav Mechlenburg

 

Immer wenn einem nichts mehr einfällt, muss die Moral einspringen. Silvia Szymanski ist bei den Gutmensch-Spießern angekommen. Wirkten die bisherigen Romane „Kein Sex mit Mike“ oder „Agnes Sobierajski“ noch verstörend auf Grund des perfekten Zusammenspiels von Naivität und Abgeklärtheit, die sie jeglicher moralischer Beurteilung entzogen, konstruiert die Autorin in ihrem neuen Buch „652 km nach Berlin“ eine Protagonistin, die trotz ihres unscheinbaren Agierens sich ihrer Position in der Gesellschaft im Klaren zu sein scheint.

652 km von der Hauptstadt entfernt hört sie Gespräche im Freibad und im Bus. Und wir wissen sofort, was wir von diesen Provinzlern, denen sie lauscht, halten sollen. Es geht gegen Arbeitslose, Ausländer und Juden und darüber hinaus um eine ganze Menge Banalitäten. Es wäre natürlich falsch, das ganze Buch auf solche Stellen zu reduzieren. Aber sie sind es, die den Tonfall der neuen Szymanski ausmachen.

Komplexitätsreduktion könnte man das nennen. Als Satire hätte es immerhin noch einen gewissen Spaßfaktor. Aber hier ist alles ernst gemeint, bis auf die wenigen Stellen, an denen Szymanski versucht, an ihren alten Schreibstil anzuknüpfen. Beispielsweise als sich die Erzählerin auf einer Party locker gebärdet: „Da war kein sauberer Teller am Buffet. So tat ich die Salate löffelweise in Höschen und Oberteil meines Bikinis und wollte sie mit einer Gabel dann von meinem Körper runter essen. Aber mir fiel auf, wie unpassend das auf andre wirken muss.“ Mit Suggestion hat dieser Stil nichts zu tun, das ist in seiner isolierten Stellung einfach nur platt.

Anstrengend wird der Roman schließlich, wenn er über Krieg oder das Jenseits reflektiert. „Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte nicht reden wie Frauen in Briefen an Männer im Krieg. Es wird manchmal gesagt, diese Frauen hatten keine Ahnung und schrieben deshalb nur belangloses Zeug. Aber vielleicht fehlten manchen zur Lage einfach die Worte.“ Manche Briefe oder Bücher, möchte man Silvia Szymanski zurufen, sollten allerdings gar nicht erst abgeschickt werden.

 

Silvia Szymanski: 652 km nach Berlin, Hoffmann und Campe 2002