13. Oktober 2003

Schmalspurweisheiten

 

Zu Arne Rautenbergs "Der Sperrmüllkönig"

 

Von Gustav Mechlenburg

 

"Eine ereignislose Zeit erfordert eine angestrengte Wahrnehmung." Wohl wahr. Doch wenn wir auch die Figur des Ich-Erzählers, die nicht sehr weit von der des Autors angesiedelt zu sein scheint, angesichts seines langweiligen Lebens bedauern sollten: Für ein Interesse des Lesers an dieser Ereignislosigkeit wären doch größere Anstrengungen vonnöten gewesen. In dem Begleitwort zu Arne Rautenbergs "Der Sperrmüllkönig" steht bereits alles. Es hätte des darauf folgenden Romans nicht bedurft. Oder es hätte ein anderer werden müssen.

 

Bei jedem Satz begleitet einen die Vorstellung, wie ein junger Literat in seiner Wohnung sitzt und auf Eingebungen für ein neues Werk hofft. Doch ist das Einzige, was es zu entdecken gibt, der Hausbewohner Harmut, der ein wenig irre ist und sich dem Sammeln von Sperrmüll verschrieben hat. Dass man aus der Beschreibung einer solchen Person einen lesenswerten Roman zaubern kann, steht außer Frage. Doch bis auf Schmalspurweisheiten und aberwitzige Meditationen, deren sich der junge Schriftsteller im Erdgeschoss schuldig macht, erfahren wir über den Sperrmüllkönig gar nichts. Eine Kostprobe: "Müll ist immer ein potentielles Besitzangebot. Ein Brauch-mich-sonst-verschwinde-ich. Darin ist der Müll ein Spiegel des eigenen Ichs. Hartmut, der nichtgebrauchte Mensch, weiß um das Loch, das sein nur ihm bekanntes Sein bei Verschwinden reißt. Aus diesem Wissen heraus liebt er die Gegenstände, die der Vernichtung ausgesetzt sind. Er sucht diese Gegenstände auf. Er ist ein Sucher, ein Retter." Und so weiter und so fort. Schließlich wird Hartmut sogar zu einer Art Gott stilisiert und muss darum auch sterben.

 

Zu der banalen Inhaltslosigkeit, die uns hier präsentiert wird, kommt noch gewollte Witzigkeit hinzu, die zwar sprachlich teilweise ganz raffiniert sein mag, von ihrem Humor jedoch recht eigen ist. Als sich der Ich-Erzähler darüber freut, dass Manni, der Hauswart, für die unrechtmäßige Entsorgung von Altöl zur Rechenschaft gezogen wird, wagt er eine Selbstreflexion: "Ich kichere ein kleines Verräterkichern und wohle mich auch nicht so recht in meiner Haut, das verrät mir mein Schleichen und Flüstern. Das geflüsterte Selbstgespräch. Ich will von mir nicht wahrgenommen werden als der, der ich in diesem Moment bin." Gewagt, gewagt. An anderer Stelle beschreibt der Autor seine Freundin, die gerade von einer Party nach Hause kommt: "Das neonblaue Stretchkleid sitzt wie angegossen mit ihr auf dem Bett." Solcherlei Zurschaustellung von Formulierungskunst ist vielleicht gut für Lesereisen, schaden aber in ihrer Häufung einem Roman, der eine gewisse Tiefe erreichen möchte. Diese allerdings erschafft man nicht mit existenzialistischen Plattitüden wie: "Wenn ich Hartmut als Symbol eines göttlichen Urgrundes erkenne, dann wohl nur, um meinem Leben einen fest gefügten Sinn zuzuerkennen."

 

Gänzlich ungenießbar wird das Buch dann an Stellen, die an Klischeehaftigkeit: wohl kaum zu übertreffen sind: "Es gibt die Sucher und die Gefundenhaber. Die vermeintlichen Gefundenhaber. Mir sind die Sucher immer schon lieber, bin selbst einer. Doch Hartmut ist der König der Sucher."

 

Diederich Diederichsen hat in einer Diskussion einmal gesagt, er schreibe nur für seine Freunde und hoffe, dass es außer den ihm bekannten noch einige mehr geben würde. Genauso scheint Arne Rautenberg sein Schreiben zu verstehen. Seine Geschichte wirkt, als wäre sie für einen Poetry-Slam-Abend produziert, doch möchte man nicht allzu viele seiner Freunde dort antreffen.

 

Seltsamerweise scheint sich der Autor all dessen bewusst gewesen zu sein, gibt er immerhin gegen Ende zu: "Das, was ich nicht von Hartmut weiß, ist viel interessanter und aufschreibenswerter. Allein weil es die Wahrheit ist. Doch an die Wahrheit kommt man nicht von außen ran. Und am Ende meiner Erkenntnis ist der Mensch gleich Müll." Das hätte man auch vorher wissen können.

Arne Rautenberg: Der Sperrmüllkönig. Roman.

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2002.

159 Seiten, 17,90 EUR.

ISBN 3455061508