13. Oktober 2003

Beruhigendes Nichtwissen

 

Zu Andreas Maiers zweitem Roman „Klausen“

 

Von Gustav Mechlenburg

 

Geht so etwas ein zweites Mal? Diejenigen, die „Wäldchestag“, das Debüt Andreas Maiers, nicht als bloßen Thomas-Bernhard-Abklatsch abtaten, sondern als stilistisch gelungene Adaption feierten - und es waren viele -, werden sich vor der Lektüre des zweiten Romans des mittlerweile in Brixen lebenden Autors fragen, ob die verschachtelte indirekte Rede, die zahlreichen Wiederholungen und das Fehlen von Absätzen, um nur ein paar wenige Vergleiche zur Bernhardschen Prosa zu ziehen, ein wiederholtes Mal angewandt, nicht überstrapaziert wirken werden. Um es vorwegzunehmen: Es funktioniert. Aber vielleicht zum letzten Mal.

 

Was zunächst für den an Bernhard geschulten Stil spricht, ist, dass wieder eine Dorf- oder Kleinstadtgemeinde im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Diesmal nicht in der hessischen Provinz, sondern im Südtiroler Eisacktal. Wohl kaum ein anderes literarisches Vorgehen vermag es, die Gerüchte und Verdächtigungen, um die es in „Klausen“ geht, so lange in der Schwebe zu halten, dass die Grenze zwischen wahr und falsch zu verwischen beginnt.

 

Dass die obsessive Fabulierkunst und die Abwege, auf die Maier den Leser lockt, nicht auf Dauer nervtötend werden, liegt diesmal am kriminalistisch anmutenden Plot, der sogar eine gewisse Spannung aufkommen lässt, und den eindrucksvollen Charakterbeschreibungen, die immer wieder auch ins Philosophische abwandern, zugegebenermaßen aber auch manchmal nur Klischees darstellen.

 

Rückblickend erzählt der Roman drei Wochen im Städtchen Klausen. Von der Katastrophe her, wobei keiner so genau weiß, worin sie eigentlich besteht, zu der Katastrophe hin führt der Text in immer trüberer Erhellung. So heißt es gen Schluss: „Kurzum: Niemand wusste eigentlich recht, was an diesem Tag passiert war, was aus Zufall geschehen, was vorsätzlich vonstatten gegangen war. Aus der Nähe betrachtet, löste sich das Geschehen in einen Kosmos von Möglichkeiten auf, aber wenn man es aus der Ferne sah, war alles ganz deutlich und sogar einfach.“ Nur steht das, was von Außen betrachtet so eindeutig sein soll, im Roman selbst nicht drin.

 

Das Einzige, was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden kann, ist, dass das Ereignis etwas mit einem mehr oder minder geglückten Anschlag auf das die Stadt überschattende Autobahnviadukt zu tun hat und in Zusammenhang mit einem Josef Gasser gebracht wird. Ein „fleißiger Nichtsnutz“, der in Berlin studiert haben soll und nun im Fremdenverkehrsamt in Klausen sein Unwesen treibt, indem er mit Genuss Touristen in die falsche Richtung schickt oder sie zum Genuss vermeintlicher Lokal-Spezialitäten anregt. Seine verschlossene Art und der Aufenthalt im fernen Berlin bringt ihm sowohl Respekt als auch Misstrauen in der Bevölkerung ein.

 

Bereits hier tritt auch die politische Aktualität des Romans zum Vorschein. Es ist ein Buch über Mondernisierungsängste, gespeist aus den unterschiedlichsten Gründen und Vorstellungen. Da ist zum einen Professor Klein, der wegen seiner Lärmempfindlichkeit das idyllische Eisacktal als Wohnsitz gewählt hat, nun aber von der Brenner-Autobahn belästigt wird. Seine Frau bringt es auf den Punkt: „Du erträgst nur das, was schon da war, bevor du da warst. Züge zum Beispiel.“

Doch die Umweltproblematik ist nur eins dieser Themen, dazu kommt die Angst vor der eigenen Unbedeutetheit gegenüber dem angrenzenden Italien sowie die scheinbar fremde Lebensweise der ansässigen Asylbewerber, die als Alibi „die übliche Abendgestaltung“ angeben, nämlich ferngesehen zu haben.

 

Das ganze Gerede bleibt während des „Ereignisses“ dann für einen kurzen, erholsamen Moment aus. „Stille in Klausen, nichts hätte noch eben unvorstellbarer geklungen als das, Stille in Klausen.“ Doch selbst das Schweigen erzeugt keine Wahrheit, und so wird und muss wohl auch weitergeredet werden, auch wenn man glauben konnte, „dass die Öffentlichkeit nichts weiter als eine Form des Wahnsinns sei.“

 

Andreas Maier: Klausen. Suhrkamp 2002