13. Oktober 2003

Kultiviere deine Angst!

 

Zu Günther Anders

 

Von Gustav Mechlenburg

 

Spätestens seit dem 11. September 2001 haben uns Apokalypse-Gedanken wieder eingeholt. Waren die Ereignisse schon grauenhaft genug, wäre das Ausmaß doch noch viel unvorstellbarer geworden, hätte das eine der entführten Flugzeuge das, wie vom FBI angenommene, Ziel Harrisburg tatsächlich erreicht. Dass AKWs Zeitbomben mit unfestgelegtem Explosionstermin sind, jeder Meiler ganz ohne Auf- oder Umrüstung zu einer Atombombe mutieren kann, hat der Philosoph Günther Anders schon vor Jahrzehnten bedacht. Nun ist sein Denken angesichts der Möglichkeit eines globalen ABC-Terrors aktueller denn je geworden.

 

An apokalyptischem Denken herrscht in der Geschichte kein Mangel. An religiösen oder ideologischen Hintergründen, aus denen es sich speist, genauso wenig. Der Nihilismus Günther Anders` ist demgegenüber moralisch gesehen weitgehend unverdächtig, hat er sich doch von jeder Art Metaphysik und jeglichem Fundamentalismus aufs Schärfste distanziert. Seine Apokalypsevorstellung ist geprägt von der Erfahrung der Atombomenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki und seiner anthropologischen Grundannahme von der Diskrepanz zwischen dem, was Menschen anstellen und herstellen einerseits, und dem, was sie vorstellen und mitfühlen können andererseits. Fatalismus allerdings war seine Sache nicht. Streitbar und engagiert kämpfte er zeit seines Lebens gegen alle Formen der herrschenden militanten, kommerziellen und ideologischen Destruktivität.

 

Das ist Grund genug für den Zu-Klampen-Verlag, das 1992 veröffentlichte Buch „Philosophie nach Hiroshima“ des Freiburger Philosophieprofessors Ludger Lütkehaus zum Werk Günther Anders` neu herauszugeben, diesmal unter dem Titel „Schwarze Ontologie“. Ein in die Irre führender Titel. Kann doch bei Anders im Sinne der schulphilosophischen Lehre kaum von Ontologie oder Metaphysik die Rede sein. Lütkehaus versäumt es daher auch nicht, die Diskrepanz Anders zu seinem Lehrer Heidegger herauszustellen: „Auf die Hamlet-Frage, die Grund-Frage der abendländischen Metaphysik, warum überhaupt Seiendes ist und nicht vielmehr Nichts, gibt der Ketzer Anders die denkbar freimütigste Antwort: Es gibt keinen zureichenden Grund, kein Worumwillen, um dessentwillen die Seierei geseit wäre und sein soll.“

 

Die vier Studien, die das Buch versammelt, verstehen sich als Einführung in das riesige Lebenswerk von Günther Anders, darüber hinaus als weiterführende Diskussion von Teilaspekten. Unter den Überschriften „Mensch ohne Welt“, „Welt ohne Mensch“, „Welt ohne Kunst“ und „Der Kontingenzschock“ geht Lütkehaus auf die Kernthesen Günther Anders` Hauptwerk „Die Antiquiertheit des Menschen“ ein, vergisst aber nicht, auch den Literaten und Journalisten Anders zu beleuchten.

 

Bekannt ist Günther Anders´ These vom prometheischen Gefälle. Wie andere Anthropologen erkennt er das Wesen des Menschen in seiner Unfestgelegtheit. „Sein Wesen also ist es, paradoxerweise kein Wesen zu haben.“ Doch im Gegensatz zu traditionellen Freiheitsanthropologien sieht Anders hinsichtlich der fortschreitenden technischen Entwicklung eine erneute relative Festlegung des Menschen. Denn zwischen dem, was wir herstellen, und dem, was wir vorstellen können, entsteht eine unüberwindbare Kluft. Angesichts des Ausmaßes unseres technischen Könnens und Wirkens sind wir nichts weiter als emotionale Analphabeten, imaginative Legastheniker und moralische Idioten.

 

Diese Antiquiertheit macht den Menschen zugleich zum perfektesten Konformisten des Apparats. Von der Analyse her ist der Abstand zur Kritischen Theorie mit ihrer These von der Eindimensionalität nicht weit. Jedoch ist die politische Konsequenz Anders´ eine andere. Er plädiert für eine subjektive Einholung des prometheischen Gefälles. „Entwickle eine moralische Fantasie“, „Verdränge nicht, sondern kultiviere deine Angst“, fordert er den Menschen auf. Wenn menschliches letztlich immer auf technisches Versagen beruht, da die Technik nicht vollständig beherrschbar ist, müssen die Produktivkräfte auf das menschliche Maß reduziert werden.

 

Solche Forderungen muten selbst antiquiert an. Nicht nur, da dieser Kampf ein aussichtsloses Unterfangen wäre angesichts der kapitalistische Logik, sondern auch, da dieses Denken auf ein weitgehend unhistorisches Menschenbild gründet. Ist es schon schwer, sich auf die „wahren“ Bedürfnisse des Menschen zu einigen, ist es für den Menschen gänzlich unmöglich, zu wissen, wie Risiken verhindert werden können, ohne damit neue heraufzubeschwören.

 

Nichtsdestotrotz bleibt das Denken Günther Anders´ eine streitbare Folie, an der auch heute jegliches technische und politische Handeln gemessen werden kann. Nur sollten dabei die Entlastungsfunktionen, die Institutionen, Systeme und Strukturen für den Einzelnen ermöglichen, nicht nur negativ bewertet werden. Gerade wer den Menschen der Antiquiertheit bezichtigt, sollte nicht zu viel von ihm erwarten.

 

 

Ludger Lütkehaus: Schwarze Ontologie. Über Günther Anders. Zu Klampen 2002