19. September 2003

Zwecklose Mittel

Nein, es handelt sich nicht um ein neues Buch von Ulrich Wickert. Kein larmoyantes Resümee über Korruption und mangelnde Tugend. Der Zusammenhang zwischen Politik und Moral ist weiter gefasst. Wie der Untertitel ankündigt, geht es um die Zweck-Mittel-Debatte generell.

 

Insbesondere im Vorwort versucht der Herausgeber einen Rundumschlag in philosophischer und historischer Hinsicht. Interessant ist bereits hier die Auswahl der Theoretiker. Natürlich darf der in vieler Hinsicht zu unrecht benannte Pate des zynischen Machterhalts Machiavelli nicht fehlen. Ansonsten werden aber Kant und Mill nur gestreift und dafür in politischen Fragen weniger gängige Denker zitiert. Nicht zuletzt sind es Literaten wie Brecht, Satre und Camus, die für Kohlmann die spannenderen Thesen bereit halten.

 

Im Hauptteil sind vier Originaltexte in chronologischer Reihenfolge versammelt. Kautskys „Terrorismus und Kommunismus“, Trotskis „Antikausky“ und „Ihre Moral und unsere“ sowie abschließend eine kurze, aber äußerst aufschlussreiche Antwort des amerikanischen Pragmatisten John Dewey.

 

Kohlmann begründet seine Fixierung auf die Debatte zu Beginn des letzten Jahrhunderts durch die Zuspitzung der Zweck-Mittel-Problematik im Zuge des Sozialismus, als „das radikal Gute gesellschaftliche Wirklichkeit werden sollte. Denn wo Politik radikal auf das Gute zielt und eine unverkürzte Moral sich mit individueller Praxis nicht begnügt, verschwinden die absoluten Gegensätze wie auch die einfachen Antworten.“

 

Der Beitrag von Kautsky ist eine Reaktion auf die Oktoberrevolution. Gegen den Terror hält er an der für ihn unumstößlichen Maxime der „Heiligkeit des Lebens“ fest. Es ist der Glaube an eine Versöhnung über demokratische Evolution, der für Kautsky eine auf Gewalt zurückgreifende Revolution ungerecht erscheinen lässt.

 

Trotzi dagegen plädiert in seinem „Anti-Kautsky“ für die Notwendigkeit eines zeitweisen Außerkraftsetzen der moralischen Werte im Interesse des gesellschaftlichen Fortschritts. Erst als Fernziel politischen Handelns sind moralische Maßstäbe anzulegen.

 

In dem das Buch abschließenden Beitrag kritisiert der amerikanische Pragmatist John Dewey (der 1938 die unabhängige Untersuchungskommission zur Klärung der in den Moskauer Prozessen gegen Trotzki erhobenen Vorwürfe leitete) beide Autoren. Bei Kautsky wie bei Trotzki „hat die vorrangige Orientierung an geschichtsphilosophischen Leitlinien einen komplexeren Zugang zur Zweck-Mittelbeziehung verstellt.“ Unakzeptabel im Rahmen von Deweys radikalem Liberalismus ist nicht die Anwendung von Gewalt generell, sondern ihre Legitimierung durch eine monistische Geschichtsphilosophie, die den Klassenkampf als das einzige Mittel sozialer Konfliktlösung und gesellschaftlichen Fortschritts ausweist.

 

Auch wenn die Argumente nicht mehr ganz neu sind und vieles sich nur vor dem geschichtlichen Hintergrund erschließt, sind die Texte schon allein auf Grund ihrer Rhetorik wahre Fundstücke. Für eine aktuelle politische Handhabe bieten sie allerdings recht wenig. So wird auch Kohlmanns im Vorwort als Ausblick angekündigtes Konzept einer „kontextabhängigen, am konkreten Einzelfall orientierten moralischen Reflexion“ durch die abgedruckten Texte nicht eingeholt.

 

Zitat: Albert Camus: „Rechtfertigt das Ziel die Mittel? Das ist möglich. Doch wer wird das Ziel rechtfertigen? Auf diese Frage, die das geschichtliche Denken offenlässt, antwortet die Revolte: die Mittel. Mittel, so viel lässt sich zumindest festhalten, deren unbegrenzte Verwendung ausgeschlossen ist.“

 

Gustav Mechlenburg

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Ulrich Kohlmann (Hg.): „Politik und Moral (Dewey, Kautsky, Trotzki) Die Zweck-Mittel-Debatte in der neueren Philosophie und Politik“ Zu Klampen!-Verlag 2001