13. Oktober 2003

Gemeinsame Philosophie

 

Wie antiquiert kann doch Denken erscheinen, welches sich mit Themen beschäftigt, dessen Verfallsdatum in der Öffentlichkeit längst abgelaufen ist. Begriffe wie Poduktionsmittel oder proletarische Öffentlichkeit wirken wie überholte Kampfansagen aus längst vergangener Zeit. Und tatsächlich stammen die meisten der hier versammelten Texte auch aus „Geschichte und Eigensinn“ und „Öffentlichkeit und Erfahrung“, also Büchern, die Alexander Kluge und Oskar Negt schon in den 70er und 80er Jahren zusammen verfasst haben.

 

Über 28 Jahre arbeiten Kluge und Negt nun schon gemeinsam an ihrem offenen Projekt, dessen Früchte jetzt der 2001 Verlag in zwei dicken Bänden veröffentlicht hat. Unter dem Titel „Der unterschätzte Mensch“ sind Auszüge aus bereits veröffentlichten Werken neu aufgelegt und teilweise aktualisiert, wie beispielsweise um den Terrorangriff auf das World Trade Center. Dazu kommen Abdrucke von Fernseh-Gesprächen, die beide im Rahmen der von Alexander Kluge ins Leben gerufenen Sendung dctp führten.

 

 

Der Untertitel der Arbeit heißt „Gemeinsame Philosophie in zwei Bänden“. Die Betonung liegt für die beiden Autoren dabei auf dem Wort „gemeinsam“. Mit den Utopien der studentischen Protestbewegung der 60er Jahre, in deren Rahmen sie sich im Übrigen auch kennen gelernt hatten, haben Negt und Kluge noch nicht abgeschlossen. Freies Denken bedarf ihrer Meinung nach einer Praxis kommunikativen Urvertrauens. Es geht darum, sich aufeinander einzulassen und Konkurrenzschranken konsequent niederzulegen.

 

 

Dass diese Idee aufgehen kann, ist nicht zuletzt in den Fernseh-Gesprächen zu erkennen. Mit optischen Mitteln wie Bildeinspielungen, Collagen oder Textbändern unterstützt, zeugten viele der Sendungen von dem Gelingen einer gemeinsamen, freien und assoziativen Arbeit an Begriffen und Themen.

 

 

Leider lässt sich das diskursive Moment in der Linearität der gedruckten Sprache nicht sonderlich gut einfangen. Und wie die unterschiedlichen Texte und Gedanken miteinander vernetzt sind, wird dem Leser auch nur mit einigem Aufwand bewusst.

Die Autoren sprechen selbst von einem Fragment. In ihm sind 2000 Jahre aufgehäufter Widersprüche versammelt, denen eine Art nicht überbietbare Wette entgegengehalten wird, indem sie davon überzeugt sind, dass in der Geschichte längst ein paar Heilmittel versteckt sind, die den unterschätzten Menschen aus der Reserve zu locken vermögen.

 

 

Gustav Mechlenburg

 

Alexander Kluge/Oskar Negt: Der unterschätzte Mensch, 2001