9. September 2003

Kunst und Kritik

 

Nur ein Esel nennt sich selbst zuerst. Oder jemand, der es nötig hat. Der Titel von Daniel Kehlmanns neuem Roman ist gut gewählt. Der Ich-Erzähler Sebastian Zöllner, ein Kunststudent und Journalist, ist profil- und charakterlos, nicht so sehr aus Dummheit oder Mittelmäßigkeit, sondern mehr aus dem intuitiven Verständnis heraus, wie das mediale Anerkennungssystem funktioniert. Dieses arbeitet auf der Metaebene gerade nicht mit Authentizität. Es geht nicht darum, was jemand kann, denkt oder macht, sondern allein um Vermittlung und Positionierung. Diese Einsicht hat den eitlen Kunstkritiker Zöllner rasch zu einem strategisch geschickten Schleimer werden lassen, dessen Weltbild scheinbar vollkommen aufgeklärt daherkommt: "Manche Anfänger versuchten, sich über wütende Verrisse zu profilieren, aber so funktionierte es nicht. Man musste vielmehr stets und in allen Dingen gleicher Meinung sein wie die Kollegen und unterdessen die Vernissagen nützen, um Kontakte zu knüpfen."

 

Da die anfänglich gut gestartete Karriere nichtsdestotrotz zu stagnieren beginnt, hat Zöllner sich vorgenommen, eine Biografie über den berühmten Maler Kaminski zu verfassen. Die vom Autor Kehlmann erfundene Figur, ein letzter lebender Vertreter der klassischen Moderne und frühen Pop-Art, soll noch bei Matisse und Picasso gelernt haben und heute zurückgezogen in den Alpen leben. Vor dessen Tod will Zöllner ihn aufsuchen und den Ruhm auf sich selbst übertragen. "Mein Buch durfte nicht vor seinem Tod und nicht zu lange danach herauskommen, für kurze Zeit würde er im Mittelpunkt des Interesses stehen. Man würde mich ins Fernsehen einladen, ich würde über ihn sprechen, und am unteren Bildrand würde in weißen Buchstaben mein Name und Kaminskis Biograf eingeblendet sein. Das würde mir einen Posten bei einem der großen Kunstmagazine einbringen." Man könnte meinen, Zöllner wäre naiv, aber eigentlich hat er nur allzu Recht mit seiner platten Vorstellung vom Kunstbetrieb. Der Roman lässt sich von daher als witzige Realsatire lesen.

 

Der Plan scheint gut, die Voraussetzungen zu stimmen. Denn schon auf den ersten Seiten des Romans bekommen wir Zöllner als einen eingebildeten und rücksichtslosen Unsympathen präsentiert, den nichts aufhalten kann. Doch so tough, wie er tut, ist er auch wieder nicht. Auf dem Weg zu seinem Künstler legt er sich mit einem Zugbegleiter an, der ihm im Zorn mitteilt, dass er stänke und eine Glatze bekäme. Das Stinken scheint dem Stänker nicht so viel auszumachen. Seine Eitelkeit allerdings lässt ihn seitdem immer wieder besorgt in den Spiegel schauen. Vielleicht ist es die innere Leere, die ihn zugleich arrogant wie unsicher macht, vielleicht aber auch ein missverstandenes postmodernes Weltbild, bei dem nach dem Ich erst mal lange nichts kommt. Auf der einen Seite vollkommen kritikresistent, dann wieder durch Sätze wie "Mach dir nichts draus" oder "Vielleicht hast du noch eine Chance" total verunsichert, laviert sich der Pseudo-Held durch vermeintlich sicheres Gebiet.

 

In dem Wohnort des Künstlers angekommen und dabei nicht versäumt habend, so manchem im Dorf mit seiner Arroganz vor den Kopf zu stoßen, muss er feststellen, dass er nicht willkommen ist. Erst nach einigen Tricks kann er sich ungestört im Haus umsehen und Kaminski sogar zu einer Reise zu dessen Jugendfreundin überreden. Es entspannt sich daraus ein spannendes Duell zwischen dem parasitären Biografen und seinem nicht minder ausgefuchsten Künstler. Das alles bekommen wir durch die selbstgefällige Brille des journalistischen Erzählers vermittelt. Durch ironische Übertreibung und die beschriebenen Reaktionen der Gesprächspartner vermag Kehlmann es aber, die falsche Selbsteinschätzung seines Protagonisten brillant komisch zur Schau zu stellen.

 

Daniel Kehlmann ist mit ich "Ich und Kaminsi" in der Popfraktion angekommen. Im Vergleich zu seinen philosophisch aufgeladenen Romanen "Beerholms Vorstellung" oder "Mahlers Zeit" liest sich das neue Buch durchgängig leicht und oberflächlich. Die schnöselige Hauptfigur ähnelt wohl nicht zufällig Gestalten aus Romanen von Christian Kracht oder Benjamin Stuckrad-Barre. Vielleicht hat Kehlmann nur zeigen wollen, dass er auch dieses Genre beherrscht. Doch auch wenn Kehlmann sich selbst nicht zur Popliteratur zählen würde, deren Rettung ist er allemal.

 

Gustav Mechlenburg

 

Daniel Kehlmann: Ich und Kaminski, Suhrkamp 2003