Das Imageproblem der Kulturkritik
Kulturkritik hat nicht den besten Ruf. Und der Kulturkritiker erst recht nicht. Eckhard Henscheid weiß um dieses Imageproblem: "Fast hat es den Anschein", formuliert er ungewohnt zurückhaltend im Vorwort der Aufsatzsammung, dass der "die längste Zeit durchaus geschätzte Begriff der Kulturkritik (...) in den letzten Jahren etwas in Verruf gekommen ist". Und zwar vor allem aus der Mitte der Gesellschaft heraus, die Kulturkritik als ein "Relikt sowohl konservativen als links-progressistischen Kultureinverständnisses" beargwöhnt. Der Kritiker ist damit je nach Standpunkt Spaßverderber oder Nestbeschmutzer.
Henscheid belasten diese Bedenken nicht. Er hält "die kritische Observation von Kultur" für "ganz und gar unabdingbar". Zum Glück: Denn jeder der 23 gesammelten "Aufsätze zur Kulturkritik" ist auf seine Weise lesenswert.
Das Spektrum des Kritikwürdigen ist groß. Henscheid ereifert sich über das Kultur(un)verständnis der SPD genauso wie über Crossover-Unsinn ("Beethoven, Schönberg Hip und Hop"), "Jockel" Fischer und die auflagen- und quotensteigernde Selbstreferentialität der Medien. Wo im Feuilleton mit der berüchtigten spitzen Feder gelangweilt wird, greift Henscheid zur Kettensäge. Dabei versäumt er es freilich nie, seine vernichtenden Urteile mit passenden Zitaten nebst Quellenangabe zu belegen.
Wer mit Henscheids Ansichten übereinstimmt, wird sich an dessen wüster und bisweilen glänzender Polemik erfreuen. Alle anderen sollten wenigstens etwas Geduld aufbringen und das Buch nicht sofort aus der Hand legen. Denn Henscheids Sammelwut fördert durchaus aufschlussreiche Ergebnisse zu Tage. Wer sich beispielsweise fragt, wie in aller Welt eine "nackte" Ex-Tagesschau-Moderatorin auf die Titelseite der "Bild"-Zeitung kommt, warum ein sogenannter Historiker "Hitlers Helfern", "Hitlers Frauen" und demnächst wohl auch "Hitlers Hunden" zu Quotenerfolgen im Fernsehen verhelfen kann, und warum die Deutschen anscheinend nicht ohne einen Kulturkanon können, sollte das Buch lesen.
Die Aufsätze sind aber in ihrer Gesamtheit nicht nur erheiternd und erhellend, sondern auch tröstlich. Denn wer nicht ertragen will, dass noch der dümmlichste Schwachsinn als Kultdies oder Kultdas diskursfähig gemacht wird, hat in Henscheid einen starken Fürsprecher: Kulturkritik habe auch die Aufgabe "ins Menschengedächtnis zu rufen, daß Dreck Dreck ist. Und bleibt." Dadurch wird zwar wohl kaum etwas besser, das Schlechte lässt sich aber besser aushalten.
Hendrik Roggenkamp
Eckhard Henscheid, "Die Nackten und die Doofen", Aufsätze zur Kulturkritik, zu Klampen Verlag, 2003, 168 Seiten